Berufsunfähigkeits-Versicherung: Erkrankte brauchen langen Atem

740px 535px

Einen tiefen Blick in die Schadenregulierung bei der Berufsunfähigkeits-Versicherung (BU) ermöglicht das Analysehaus Franke & Bornberg mit einer Stichprobe der Leistungspraxis von fünf großen Lebensversicherern.

Damit schreiben die Analysten ihre Untersuchungen fort, die sie seit 2014 jährlich durchführen. Für die Veröffentlichung 2020 wurden rückblickend die Schadenakten des Jahres 2018 ausgewertet. Die Leistungspraxisstudie stellt die aggregierten Werte der untersuchten Unternehmen dar. Die Einzelwerte der teilnehmenden Gesellschaften Ergo, Generali, HDI, Nürnberger und Zurich werden nicht veröffentlicht. Die Teilnehmer an der Stichprobe haben sich im Vergleich zum Vorjahr etwas geändert. Jetzt ist wieder die Zurich dabei, während Allianz Lebensversicherung und Swiss Life nicht teilnehmen.

Versicherer mit überdurchschnittlich guten Werten stellen sich

„Die Ergebnisse deuten auf durchweg solides Vorgehen der Unternehmen hin“, schreiben die Autoren. Einen generellen „Persilschein“ könnte jedoch nicht ausgestellt werden, da einzelne Leistungsfälle auch negativ vom Gesamtbild abweichen können. Zudem sei keine Übertragung der Werte auf nicht untersuchte Versicherer möglich. Franke & Bornberg: „Wir gehen davon aus, dass sich vor allem Versicherer mit überdurchschnittlich guten Werten der Untersuchung stellen.“

Sechs Monate Unsicherheit

Erkrankte, die nicht mehr arbeiten können, brauchen weiterhin einen langen Atem, um Klarheit zu bekommen, ob sie eine private BU-Rente erhalten. Versicherte, deren Ansprüche von den Lebensversicherern anerkannt werden, müssen rund 176 Tage warten, bis sie den positiven Bescheid in den Händen haben. Wird der Anspruch des Kunden abgelehnt, dauert es etwas länger, nämlich rund 184 Tage. Versicherungsmakler müssen ihre Kunden also grundsätzlich auf einen langen Regulierungsprozess vorbereiten. Besonders psychische Erkrankungen und Unfälle weisen laut der Stichprobe erhöhte Regulierungsdauern auf. Laut Franke & Bornberg wäre dies durch den Mangel an Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie bedingt.

Bei Unfällen sind gesonderte Stellungnahmen der Polizei und der Staatsanwaltschaft die Ursache für eine längere Regulierungsfrist. Ermittelt wurde auch, dass es für die Kunden sehr aufwändig ist, den Fragebogen zu beantworten. So würden die Kunden hierfür in der Regel 30 bis 40 Tage benötigen.

Anerkennungsquote

GDV beschönigt die Regulierungsdauer

Diese Zeit blendet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nach Angabe von Franke & Bornberg bei der Veröffentlichung von Branchenwerten aus. Der GDV würde allein die Nettoregulierungsdauer der Versicherer berücksichtigen und nicht den Zeitaufwand der Kunden für die Beantwortung des Leistungsfallfragebogens. Das wird von den Analysten aus Hannover scharf kritisiert. „Es ist zu bezweifeln, ob es hilfreich ist, die Bearbeitungszeiten auf diese Weise klein zu rechnen“, so ihr Statement. Der große Vorteil der Berufsunfähigkeitsversicherung, individuell auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen, sei ursächlich für einen zeitlichen Nachteil in der Feststellungsphase. „Über diesen Sachverhalt lohnt es sich zu reden, statt zu schweigen“, heißt es in der Studie. Transparenz sei das beste Mittel aktiv gegen pauschalisierende Anschuldigungen vorzugehen.

Rechtschutz vor Abschluss der BU-Police sinnvoll

Daher ist es für unabhängige Versicherungsvermittler sehr sinnvoll, betroffene Kunden bei der Beantwortung der Fragen zu unterstützen. Dabei sollte man beachten, dass beim Ausfüllen des umfassenden Fragebogens auch rechtliche Probleme zu lösen sind. Sinnvoll ist daher vielfach die Kooperation über einen Fachanwalt für Versicherungsrecht oder einen Versicherungsberater. Soweit eine Rechtsschutzversicherung für den privaten Bereich besteht, kann eine solche Hilfe kostenneutral erfolgen. Dafür ist die Rechtsschutzpolice idealerweise – schon um Probleme aus Antragsverletzung beraten zu können – vor der Beantragung der BU-Police abgeschlossen worden.

Möglicherweise würden bei einer frühzeitigen Beratung auch die Quote der Versicherten sinken, die eine "Mitwirkungspflichtverletzung" begehen, weil sie den Antrag nicht weiterverfolgen. Laut der Untersuchung ziehen nämlich fast 41 Prozent aller Versicherten ihren Antrag aktiv zurück oder verfolgen ihn gar nicht weiter. Grund ist nach Einschätzung von Franke & Bornberg, dass hier oftmals präventiv ein Antrag gestellt wurde, weil der Krankheitsverlauf anfänglich unklar war und der Kunde die vertragliche Meldefrist nicht verpassen wollte. Hier ist aber auch eine andere Interpretation möglich. So könnte schon der Fragebogen die Erkrankten vollkommen überfordern.

Anteil der Gutachten an den Leistungsfällen eher gering

Insgesamt stellt die Studie den beteiligten Versicherern eine sehr positive Bilanz aus. So würden rund 80 Prozent aller Fälle, die weiterverfolgt werden und erstmals angemeldet werden, anerkannt. Diese Anerkennung erfolgt laut Franke & Bornberg allein auf Basis der Antworten des Versicherer sowie von Unterlagen der Ärzte und Krankenkassen. So geben die Versicherer an, dass sie lediglich in 4,72 Prozent der Fälle einen zusätzlichen Gutachter einschalten. Dazu schreiben die Analysten: "Entgegen der Aussagen von Medien und teilweise auch des Verbraucherschutzes ist der Anteil der Gutachten an den Leistungsfällen eher gering." Das bestätige auch die Stichprobe, bei den teilnehmenden Versicherern. Hier liegt der Anteil der zusätzlichen Gutachten nur bei 3,34 Prozent.

Verteilung der Ablehnung

Oft wird BU-Grad nicht erreicht

Trotzdem überrascht diese Aussage. So werden laut der Stichprobe bezogen auf alle Ablehnungen in 55 Prozent der Fälle die Leistung verweigert, weil nach Einschätzung des Versicherers der BU-Grad nicht erreicht wurde. Folglich müsste nun eigentlich der Versicherte einen Gutachter einschalten, um diese Einschätzung wissenschaftlich zu überprüfen. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Denn bezogen auf das aktuelle Auswertungsjahr 2018 gab es bei 21.722 Anspruchsstellungen nur rund 1.320 Gerichtsverfahren. In 26 Prozent der Verfahren gewinnt der Versicherer, in rund acht Prozent der Verfahren verliert er. Gleichzeitig kommt es in rund 66 Prozent der Verfahren zu einem Vergleich.

Fazit: Eine Ablehnung sollte möglicherweise rechtlich geprüft werden. Auch hier dürften BU-Versicherte mit einer Rechtsschutzpolice klar im Vorteil sein.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

Alle Branche News