"Ein generelles Provisionsverbot lehnen wir ab"

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Umfragen zufolge sah es lange so aus, also ob CDU/CSU und FDP zusammen mit den Grünen oder SPD die kommende Regierung führen. Mittlerweile liegt die SPD vorn. Versicherungsmagazin hat die Parteien zu ihren Plänen für die Assekuranz und Branchenverbände zu ihren Erwartungen befragt.

In der September-Ausgabe von Versicherungsmagazin präsentieren wir Ihnen die Positionen der einzelnen Parteien und was sich für die Vermittler bei einer neuen politischen Konstellation ändern könnte.

Hier veröffentlichen wir ausführliche Interviews mit den politischen Finanzxperten der jeweiligen Parteien.
Heute mit Lothar Binding, Obmann und Sprecher im Finanzausschuss des Bundestags, SPD.

Die Gesetzliche Rentenversicherung hat ein Finanzierungsproblem, das sich auch noch massiv ausweiten wird. Dies ist bereits seit längerem bekannt. Wie sehen Ihre Pläne für die gesetzliche Rente aus?
Für alle Erwerbstätigen muss eine gute und verlässliche Rente nach vielen Jahren Arbeit sicher sein. Zentrale Grundlage dafür bleibt für uns die gesetzliche Rentenversicherung. Den mit dem Renteneintritt der Babyboomer verbundenen Herausforderungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden wir mit klugen Antworten begegnen: Wir setzen auf einen starken Arbeitsmarkt mit einer hohen Beschäftigungsquote und einer anständigen Lohnentwicklung. Je mehr Menschen in den nächsten Jahren in Arbeit sind und je besser die Lohn- und Gehaltsentwicklung ist, desto stabiler ist auch die gesetzliche Rente.

Generationengerechtigkeit bedeutet für uns dabei, dass die junge Generation ihren Anteil an der Finanzierung der Rentenversicherung gut übernehmen kann. Höhere Einkommen müssen über Steuerzuschüsse an der solidarischen Finanzierung beteiligt werden. Generationengerecht ist für uns aber auch, dass sich die junge Generation auf eine auskömmliche Rente im Alter verlassen kann. Deswegen wollen wir die gesetzliche Rente stärken und stehen für eine dauerhaft stabile Rentenleistung und ein dauerhaftes Rentenniveau von mindestens 48 Prozent. Hohe Beiträge bei später niedrigen Renten wird es mit uns nicht geben.

Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, also eine pauschale Rentenkürzung, lehnen wir ab, in vielen Berufen ist es nicht zumutbar, noch länger als bis 67 zu arbeiten und schon dies ist für viele eine kritische Grenze.

Die Riester-Rente muss reformiert werden. Was planen Sie für diese Vorsorgereform?
Wir wollen bei den privaten Angeboten der Altersvorsorge bürokratische Hemmnisse abbauen und Kosten senken. Um den Bürger*innen eine attraktive private Altersvorsorge zu ermöglichen, setzen wir uns für ein neues standardisiertes Angebot ein, das kostengünstig ist, digital und grenzüberschreitend und (in Anlehnung an das schwedische Modell) auch von einer öffentlichen Institution angeboten wird. Die Förderung neuer Verträge werden in Form von Zuschüssen auf untere und mittlere Einkommensgruppen beschränken.

Auch bei der bAV muss nachgebessert werden, weil das BRSG die gewünschten Effekte nicht vollständig erbracht hat. Außerdem wird der Höchstrechnungszins zum Jahreswechsel auf 0,25 Prozent gesenkt, was dann Produkte mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie unmöglich macht. Wie sehen Ihre Vorstellungen für die Betriebsrente aus?
Wir haben es kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert, für ihre Beschäftigten in die betriebliche Altersversorgung einzusteigen. Unser Ziel ist, dass deutlich mehr Beschäftigte in einer betrieblichen Altersversorgung abgesichert sind. Dabei sollten tarifvertraglich vereinbarte kollektive Altersversorgungsformen bevorzugt werden. Zudem setzten wir uns für die vollständige Abschaffung der Vollverbeitragung sowie der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in der gesetzlichen Krankenversicherung ein.

Befürworten Sie eine Bürgerversicherung und warum (nicht)?
Wir wollen eine Bürgerversicherung einführen und damit einen gleich guten Zugang zur medizinischen Versorgung für alle, eine solidarische Finanzierung und eine hohe Qualität der Leistungen sicherstellen.

Sind Sie für die Einführung eines Provisionsdeckels beziehungsweise Provisionsverbots im Versicherungsvertrieb und warum (nicht)?
Wir setzen uns für eine faire Vergütung des Vertriebs von Finanzanlagen und Versicherungen ein, die Verbraucher*innen vor überzogenen Kosten schützt und gleichzeitig ehrlichen und fairen Berater*innen und Vermittler*innen ein auskömmliches Einkommen ermöglicht. Überhöhte Provisionen, die zu Lasten der Verbraucher*innen gehen, wollen wir deckeln. Ein generelles Provisionsverbot lehnen wir ab.

Wie schätzen Sie die Stimmen von Kritikern an der Bürgerversicherung und am Provisionsdeckel beziehungsweise Provisionsverbot ein, dass dadurch Arbeitsplätze in der Versicherungsbranche verloren gehen und weniger Kunden eine Beratung zum Thema Versicherung in Anspruch nehmen, wie das Beispiel Großbritannien gezeigt hat?
Ein generelles Provisionsverbot lehnen wir wie gesagt ab. Wo es zu überhöhten Provisionen kommt, die zu Lasten der Versicherten gehen, wollen wir einen Provisionsdeckel einführen. Redliche Versicherungsvermittler*innen können den Deckel nicht bemerken, vielmehr geht der Provisionsdeckel zu Lasten der schwarzen Schafe und kommt damit auch den fairen Vermittler*innen zugute.

Das Interview führte Jan F. Wagner, freier Finanzjournalist aus Frankfurt.

Zum Zeitpunkt der Drucklegung der September-Ausgabe des Versicherungsmagazins, für die dieses Interview geführt wurde, lagen CDU/CSU noch in den Umfragen vorn. Das hat sich mittlerweile geändert, nun führt die SPD vor der Union. Wir haben den Vorspann dieses Interviews entsprechend geändert.

 

Autor(en): Jan F. Wagner

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