Eine Marke ist mehr als bunte Bildchen

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Wie man mit durchdachten Strategien digital Geschäft macht, altbackene Büros entstaubt oder eine langweilige Marke sexy macht, wurde auf dem AMC-Meeting deutlich.

Zweimal im Jahr veranstaltet der Assekuranz Marketing Circle (AMC) sein Meeting, das von Marketingfachleuten der Versicherer ebenso gern besucht wird wie von Dienstleistern. Bei seiner Herbstveranstaltung übte Anja Stolz, Bereichsleiterin Marketing der R+V Versicherung, Kritik an der veralteten Denkweise der Branche.

Wer ist der Kunde?

„Die Branche ist immer noch produktgetrieben“, so die Sozialwissenschaftlerin, die lange in anderen Branchen gearbeitet hat. So musste sie mit dem Irrglauben aufräumen, eine Marke sei nur „bunte Bildchen“. Hinter dem sichtbaren Logo und Slogan eines Versicherers stecke weitaus mehr.

Um ihre Ideen durchzusetzen, musste Stolz dicke Bretter bohren. „Wir hatten lange Diskussionen, wer eigentlich unser Kunde ist“. Ihrer Ansicht nach gibt es darauf nur eine Antwort: Das ist der Versicherungsnehmer, in der Branche oft als „Endkunde“ verballhornt. Tatsächlich bekennen sich immer noch viele Versicherer stattdessen zu ihren Vertriebspartnern als vermeintlichen Kunden.

Digitalgeschäft ergänzend statt im Wettbewerb zu Vermittlern

Entscheidend sei zu wissen, was Kunden wollen. Produkte müssten modular und einfach sein. Mit diesem Anspruch, berichtete Stolz, werde die bisher unter einer mit wenig Ehrgeiz laufenden Ein-Produkt-Marke R+V 24 entwickelte Idee eines Direktgeschäfts neu aufgebaut. Ziel müsse sein, Kunden im Internet eine breite Palette an Produkten anzubieten.

Herausforderung sei dabei, dies nicht als Konkurrenz zu den etablierten Vertriebswegen zu positionieren, bei der R+V sind das neben den Volks- und Raiffeisenbanken auch ein Ausschließlichkeits- und ein Maklervertrieb. Und genau das gelinge sehr gut, so Stolz, denn rund 80 Prozent der gewonnenen Kunden seien Neukunden, bei denen keine Vertriebswegebindung vorliegt. Bei R+V 24 dagegen seien zwei Drittel der Neukunden über Check 24 gekommen. Aber diese Kunden seien für die R+V teuer eingekauft und nicht weiter zu entwickeln, sondern schnell wieder weg.

Aktionsmanagement professionalisieren

Weiter stellte Stolz das „Next Best Offer-System“ der R+V vor. Ziel ist hierbei, für den Vertrieb aus den zahlreichen vorhandenen Daten Hinweise zu gewinnen, welche Angebote für den jeweiligen Kunden interessant sein können. Denn auch die etablierten eigenen Vermittler würden einen Großteil ihrer Kunden gar nicht näher kennen.

Die automatisierte Aktionssteuerung bringe eine beachtliche Konversionsrate von gut einem Drittel aller Angebote und einen erheblichen Neubeitrag – „und wir stehen erst am Anfang“. Um dies zu intensivieren, will das Unternehmen künftig verstärkt auf Telefonmarketing setzen, denn das gehe noch schneller als im Digitalgeschäft. Bei dieser Gelegenheit soll die recht niedrige Cross-Selling-Quote gesteigert werden, noch seien rund zwei von drei Kunden nur mit einem einzelnen Vertrag versichert.

Du bist nicht allein – ein hoher Anspruch

Ein weiterer Baustein der Marketingstrategie ist die Aufwertung der Marke R+V. Sie habe sich für den Claim „Du bist nicht allein“ entschieden. „Das muss dann auch geliefert werden“, so Stolz, die auf Beispiele aus der Corona-Krise mit kostenlosen Versicherungen für unverzichtbare Berufe, die im Lockdown die Bevölkerung zu versorgen hatten, oder aus der Flutkatastrophe im Ahrtal berichtete. Da habe man für manches weggeschwommene Auto bezahlt, auch wenn der Beweis der Zerstörung in dem Durcheinander nach der Sturzflut noch nicht erbracht werden konnte.

Stolz räumte aber auch ein, dass die R+V selbstverständlich weiter Geld verdienen muss. Der Anspruch „Du bist nicht allein“ dürfe nicht als ein umfassender Anspruch auf unbegründete Leistungen missverstanden werden – aber Leistungsablehnungen müssten gut begründet werden.

Alle Sinne ansprechen

Auch die Barmenia geht seit viereinhalb Jahren ungewöhnliche Wege, so Marc Ussat, Leiter des Competence Centers B-Next (siehe Foto oben). Aus verstaubten, langweiligen Büros der Vertriebsniederlassungen werden systematisch moderne, hippe Locations, in denen sich Mitarbeitende, Vertriebspartner und auch Kunden wohlfühlen sollen. Dazu habe man eine agile Vorgehensweise gewählt und mit drei Prototypen begonnen, der erste entstand in Siegen.

Neben der Einrichtung, die sogar Kunden animiere zu fragen, ob man eine der Ledercouchen kaufen könne, sind es verschiedenartige Reize wie Musik und Duft zur Steigerung der sinnlichen Reize – manches Einzelhandels-Konzept stand dabei Pate. In seinem launigen Vortrag verglich Ussat den Wandel der Vertriebszentren mit dem langweiligen, aber nahrhaften Haferschleim, der durch wenige Zutaten zum angesagten Porridge wird, den man um ein Vielfaches teurer verkaufen kann.

Das Konzept ist aufwändig, weil sich die Barmenia gegen eine Einheits-Einrichtungslinie entschieden hat und stattdessen jeden Standort individuell entwickelt. Da können lokale Einflüsse eine Rolle spielen wie die Taue als Reminiszenz an den Hafenstandort Bremen oder die Umbenennung einer Vertriebsniederlassung in „Club of Insurance“, um der eigentlich unattraktiven Kellerlage in Hamburgs bester Einkaufsmeile einen attraktiven Club-Anstrich zu verleihen.

Die Einführung solcher Konzepte braucht Geduld und Leidensfähigkeit. Ussat räumte ein, dass dies zunächst mit Verlusten sowohl an Personal als auch an Absatzerfolgen verbunden war – aber nur im ersten Jahr. Seither sei eine beachtliche Steigerung weit über das ursprüngliche Niveau hinaus erreicht worden. Das sei wichtig für einen Versicherer, dessen Geschäft sich vor allem über jüngere Vermittler steigern lässt, die man nun viel leichter gewinnen könne als früher.

Auch andere Branchen sind nicht sexy

Eine spannende Idee, wie man eine unattraktive und ungeliebte Marke zu einer „Lovebrand“ umgestaltet, lieferte der Marketingleiter der Berliner Verkehrsbetriebe BVG, Frank Büch. Das „Produkt“ Öffentlicher Nahverkehr sei eigentlich genauso wenig sexy wie die Versicherungen. Vermeintlich sei er ein Monopolist, an dem man ohnehin nicht vorbeikomme. Das stimme aber gar nicht. Ziel der BVG ist nach Büchs Worten, Autofahrer abzuwerben, auf die Öffis umzusteigen.

Nun gibt es Öffis schon sehr lange, und manches funktioniere halt wie in einer alten Beziehung nicht mehr wirklich gut. Nachteile und Probleme wie zum Beispiel Verspätungen seien nicht zu verleugnen. Was dort helfen könne? Wie in einer Beziehung könnte man sich seiner gegenseitigen Liebe neu versichern – so entstand der Slogan „#weilwirdichlieben“.

Die Kampagne dazu startete zunächst mit Anzeigen und Sprühwerbung auf dem Boden, ohne die BVG als Urheber zu nennen. Dieses Konzept des Neugierig-Machens und Überraschens der Werbeempfänger hatte auch einmal die damalige Opel-Marketingleiterin Müller bekannt gemacht mit ihrer „Umparken im Kopf“-Kampagne.

Nicht jede Idee löst sofort Begeisterung aus

Bei der BVG sah es allerdings zunächst danach aus, dass diese Kampagne vollkommen nach hinten losgeht. Denn nach Bekanntwerden des Urhebers ergoss sich ein Shitstorm über die Verkehrsbetriebe, Büch habe schwere Zeiten und kritische Fragen des Vorstands aushalten müssen.

Doch er setzte seine Idee durch, auch weiterhin mit „flotten Sprüchen“, witziger und selbstironischer Werbung und Reaktionen auf Posts in Sozialen Medien die Marke BVG mit Emotionalität und einer liebenswertigen Berliner Schnauze aufzuladen.

Ein Erfolgsfaktor sei die Nutzung von User Generated Content. So würden immer wieder Nutzer in den Sozialen Medien erfolgreich um Einverständnis gebeten, ihre Bilder und Beiträge nutzen und mit eigenen Botschaften ergänzt weiterverbreiten zu können. Ein weiterer sei, unangenehme Erlebnisse der Fahrgäste wie die erwähnten Verspätungen in verständnisfördernde Erzählungen umzuwandeln, mit denen sich Betroffene trösten lassen.

Auch für die Rekrutierung von Personal sei diese Vorgehensweise erfolgreich. Mithilfe von Kampagnen konnte eine beachtliche Zahl neuer Abonnements verkauft werden – die 49 Euro-Ticket-Debatte durchbricht diese Erfolgsgeschichte aktuell jedoch.

Eine Social Media-Leitlinie ermuntert die Beschäftigten, beispielsweise Mut, Witz, Schlagfertigkeit und Leidenschaft zu zeigen. Auch wenn nicht jede Idee letztlich eine gute ist, so könne man nur so eine Marke neu erfinden.

Autor(en): Matthias Beenken

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