Experten warnen vor Greenwashing

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Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat eine Konferenz nur dem Thema Nachhaltigkeit im Finanzdienstleistungsbereich gewidmet. Neben dem Eingeständnis vieler Unklarheiten gab es einige konkrete Hinweise für den Umgang mit dem komplexen Regelwerk.

Als „Gamechanger“ bezeichnete BaFin-Präsident Mark Branson „die einfache Frage, wollen Sie nachhaltig investieren?“, die Versicherer, Banken und andere Finanzdienstleister seit August ihren Kunden stellen müssen. Die Umsetzung sei noch einfach, aber der Umgang mit der anschließenden Produktauswahl „nicht trivial“.

Anleger kann verwirrt oder enttäuscht werden

Offensichtlich hat die Finanzaufsicht Sorge, dass Nachhaltigkeitswünsche der Kunden durch ungeeignete Anlagen erfüllt werden sollen, die als grün beworben sind, dies aber nicht erfüllen. Denn Bransons wie auch weitere Beiträge von Vertretern der Aufsicht durchzog die Warnung, Greenwashing zu betreiben.

Sehr deutlich wurde, wie unübersichtlich und komplex das Regelwerk der Europäischen Union auch für die Aufseher aufgebaut ist. Das Problem verortete Branson darin, dass die Definition, was nachhaltig ist, eigentlich Aufgabe der Wissenschaft sei. Die Frage der Umsetzung hingegen sei aber eine politische, und beides vermische sich nach seinem Eindruck sehr. Im Ergebnis kann der Anleger verwirrt oder sogar enttäuscht werden – „das wäre schade“.

Für die BaFin betonte Branson, dass sie keine eigenen Regeln schaffen dürfe. Man sei „in gewisser Weise die Finanzpolizei“, aber nicht für Umweltschutz oder ethische Fragen verantwortlich. Die Rolle der Bafin beschrieb er mit zwei Anforderungen: Sie wolle zum einen Transparenz schaffen und dadurch Anleger stärken, die eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung treffen wollen. Zum anderen habe sie die Finanzdienstleister zu kontrollieren, dass sie ein realistische Bild ihrer Nachhaltigkeit zeichnen.

Berichtspflichten werden zahlreiche Unternehmen erfassen

Nachhaltigkeit „darf nicht zu einer reinen Compliance-Übung verkommen“, warnte Christian Heller, stellvertretender Vorsitzender des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. Er betonte die Notwendigkeit einer Transformation der Wirtschaft. „Die Uhr steht nicht auf 5 vor, sondern auf 10 nach 12“, meinte er. Die Bundesregierung forderte er auf, die Chancen der Nachhaltigkeit zu nutzen, aber auch Regulierung zu entschlacken.

Der deutsche Mittelstand wird besonders von der kommenden, neuen Nachhaltigkeits-Berichterstattungs-Richtlinie (CSRD) betroffen sein, auch wenn davon erst in Stufen über die nächsten Jahre alle offenlegungspflichtigen Unternehmen tatsächlich erfasst werden. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Florian Toncar bezifferte die Zahl der künftig offenlegungsverpflichteten Unternehmen auf rund 15.000 – derzeit sind es nur rund 500 nach einer Vorgängerrichtlinie.

Außerdem wies er darauf hin, dass zahlreiche Lieferanten und Dienstleister dieser Unternehmen indirekt betroffen sein werden, da auch sie an die berichtsverpflichteten, mittleren und größeren Unternehmen Nachhaltigkeitsinformation liefern müssen. Toncars Worten zufolge wird es nötig werden, Proportionalität bei den Anforderungen walten zu lassen – aber ohne Abstriche bei der Qualität zu machen.

Keine globale Taxonomie zu erwarten

Das Thema Nachhaltigkeit ist ein globales. Das wurde im Vortrag von Emmanuel Faber deutlich, der dem in Frankfurt ansässigen, International Sustainability Standards Board vorsitzt. Er schilderte, mit wie vielen Nationen und deren Ansätzen Austausch besteht oder angestrebt wird. Außerdem würden die Bemühungen um internationale Nachhaltigkeitsstandards eng mit dem bestehenden Board für die internationale Rechnungslegung abgestimmt.

Auch die Europäische Union versucht sich international abzustimmen, führte Christian Heller aus, als Direktor bei der EU-Kommission verantwortlich. Das sei bei ungefähr 19 verschiedenen internationalen Arten der Rechtsetzung kein einfaches Unterfangen. Besonders intensiv tausche man sich mit China aus, das auch eine Nachhaltigkeits-Taxonomie entwickelt, die aber „wesentlich kürzer“ und „weniger ambitioniert“ ausfalle. Eine globale Taxonomie hält Haag allerdings auf absehbare Zeit für „unrealistisch“.

Umwelt zuerst – oder doch auch sozial?

In der nachfolgenden Diskussion empfahl Staatssekretär Toncar, sich nicht mit dem Versuch zu verzetteln, „ESG“ gleichzeitig umzusetzen, sondern mit „E“ anzufangen, also den Umweltzielen. Das unterstützte Kommissions-Vertreter Haag, wies aber darauf hin, dass auch die Klimaziele in der Umwelttaxonomie soziale Mindeststandards vorsehen, „S“ und „G“ könnten gar nicht vollständig ausgeblendet werden.

Aus Sicht der EU-Kommission spielt die Beratung eine zentrale Rolle. Allerdings könne man gute Beratung nicht verordnen, sondern lediglich – wie geschehen – vorschreiben, dass der Kunde nach Nachhaltigkeitspräferenzen gefragt werden muss. Staatssekretär Toncar ergänzte, dass die Kunden seiner Ansicht nach bereits eine hohe Nachfrage nach Nachhaltigkeit entwickeln.

Guter Willen erkennbar

Der Leiter der Versicherungsaufsicht Frank Grund ermunterte die Versicherungswirtschaft, sich „alle zusammen“ auf eine „Reise“ zu machen. Einerseits kritisierte er, von der Versicherungswirtschaft „könnte mehr kommen“. Andererseits lobte er, „ich stelle eine Menge guten Willen fest“. Und er bekannte für die BaFin, „auch wir haben Nachholbedarf“.

Wichtig war Grund ebenso wie seinen Kollegen für die beiden anderen Aufsichtsbereiche der BaFin, dass weiterhin eine risikobasierte Sicht im Vordergrund stehen muss. Außerdem sei „Proportionalität für die die BaFin ein hohes Gut“. Grund kündigte an, dass sich die BaFin sehr genau die diesjährigen ORSA-Berichte ansehen werden.

Vorsicht vor dem „Artikel 8-Label“

Die Referentin Bilanzrecht Susanne Schenker der BaFin ging auf Auslegungsfragen der europäischen Vorgaben ein. Kritisch äußerte sie sich über die im Markt derzeit verbreiteten „Label“ eines „Artikel 8-Produkts“. Diese Einordnung von Anlagen und Versicherungsanlagen nach der Transparenzverordnung könne irreführend sein, denn hinter der Einordnung nach Artikel 8 stünden sehr unterschiedliche Ambitionsniveaus. Man könne Anlagen daher keineswegs über einen einheitlichen Artikel 8-Kamm scheren.

Verwirrend ist, dass die Unternehmen auch dann Anteile nachhaltiger Anlagen angeben müssen, wenn sie gar nicht behaupten, dass ihr Produkt einen bestimmten Mindestanteil an Nachhaltigkeit haben. Die BaFin sieht ihren Worten zufolge in dieser Offenlegungspflicht keine automatische Verpflichtung, künftig bestimmte Anteile an nachhaltigen Anlagen ausweisen zu müssen, sofern der Kunde korrekt informiert wird, dass kein solcher Mindestanteil zugesichert wird. Schließlich beruhigte Schenker die neben den in Berlin persönlich anwesenden weiteren 750 Zuhörern, die der hybriden Veranstaltung online folgten, dass es normal sei, wenn anfangs nur niedrige Quoten ausgewiesen werden können. Es gebe einfach noch nicht genug Daten und Informationen zu nachhaltigen Anlagen.

Auch auf laufende Lebensversicherungen anzuwenden

Die Offenlegungsverordnung muss nach Aussagen von Versicherungsaufseher Grund nicht nur auf neue, sondern auch auf laufende Lebensversicherungen angewendet werden. Das sei zwar auch für die BaFin zunächst überraschend gewesen. Aber es werde von Brüssel damit erklärt, dass in solche Verträge weiter Zahlungen geleistet werden.

Zusammenfassend war der Eindruck, dass bei allem guten Willen die regulatorische Komplexität und das Fehlen an Daten den Start des Nachhaltigkeitsvertriebs erschwert. Praktische Probleme in der konkreten Umsetzung im Kundenberatungsprozess wurden überhaupt nicht diskutiert.

Autor(en): Matthias Beenken

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