Folgt die FDP bei der Provisionsberatung den Grünen?

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FDP und Die Grünen haben sich mit der SPD auf eine neue Regierung verständigt. Nun liegt der Koalitionsvertrag vor. Bei der Provisionsberatung dürfen Vermittler etwas aufatmen. Schon zuvor hatten sich Grüne und FDP in dieser Sache aufeinander zubewegt, obwohl zwischenzeitlich auch das Wort „Provisionsverbot“ fiel.

+++ Update 24. November 2021, 17 Uhr +++

Die neuen Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben den Koalitionsvertrag vorgelegt. Die wichtigsten Punkte darin für die Versicherungswirtschaft sind:

Finanzieller Verbraucherschutz und Altersvorsorge
"Wir wollen die Reform der deutschen Finanzaufsicht BaFin fortsetzen. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Aufsichtsbereichen der BaFin sowie mit anderen deutschen und internationalen Behörden muss intensiviert werden. Die BaFin muss als Arbeitgeberin attraktiver werden. Die Gründung, Übernahme, Umstrukturierung oder Kapitalstärkung von Banken und Finanzdienstleistern soll zügiger als bisher möglich sein. Wir werden uns für eine stärkere Standardisierung für die Erstellung von Prospekten einsetzen. Wir werden die Fähigkeiten der BaFin bei der Prüfung von Vermögensanlageprospekten weiter stärken. Wir werden den Verbraucherbeirat der BaFin weiter stärken.

Wir werden umgehend prüfen, wie die Transparenz beim Kredit-Scoring zugunsten der Betroffenen erhöht werden kann. Handlungsempfehlungen werden wir zeitnah umsetzen. Wir werden bei der BaFin eine Vergleichs-Website für Kontoentgelte einrichten.

Wir werden die BaFin beauftragen, Regulierungslücken im Grauen Kapitalmarkt zu identifizieren.

Bei Restschuldversicherung, werden wir den Abschluss des Versicherungsvertrages und den Abschluss des Kreditvertrags zeitlich um mindestens eine Woche entkoppeln."

Sustainable Finance
"Wir wollen Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen und uns dabei am Leitbild der Finanzstabilität orientieren. Angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzprodukte unterstützen wir. Nicht-risikogerechte Eigenkapitalregeln lehnen wir ab. Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken. Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings der großen Ratingagenturen ein.

Wir setzen uns dafür ein, dass auf europäischer Ebene ein einheitlicher Transparenzstandard für Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen gesetzt wird. Ökologische und gegebenenfalls soziale Werte wollen wir im Dialog mit der Wirtschaft in bestehende Rechnungslegungsstandards integrieren, beginnend mit Treibhausgasemissionen. Wir unterstützen deshalb das Vorhaben der Europäischen Kommission, eine "Corporate Sustainability Reporting Directive" zu entwickeln.

Die Bundesregierung wird auf Basis der Empfehlungen des Sustainable Finance Beirats eine glaubwürdige Sustainable Finance Strategie mit internationaler Reichweite implementieren. Der Beirat soll als unabhängiges und effektives Gremium fortgeführt werden."

Digitale Finanzdienstleistungen und Währungen
"Für Fintechs, Insurtechs, Plattformen, Neobroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden. Es gilt, die mit den neuen Technologien, wie Blockchain, verbundenen Chancen zu nutzen, Risiken zu identifizieren und einen angemessenen regulatorischen Rahmen schaffen. Wir werden deshalb für effektive und zügige Genehmigungsverfahren für FinTechs sorgen. Digitale Finanzdienstleistungen sollten ohne Medienbrüche funktionieren; dafür werden wir den Rechtsrahmen schaffen und die Möglichkeit zur Emission elektronischer Wertpapiere auch auf Aktien ausweiten.

Den Prozess zur Einführung eines digitalen Euro als Ergänzung zum Bargeld, der als gesetzliches Zahlungsmittel in Europa für alle zugänglich und allgemein einsetzbar ist, wollen wir konstruktiv begleiten. Europa braucht zudem eine eigenständige Zahlungsverkehrsinfrastruktur und offene Schnittstellen für einen barrierefreien Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Händler.

Wir brauchen eine neue Dynamik gegenüber den Chancen und Risiken aus neuen Finanzinnovationen, Kryptoassets und Geschäftsmodellen. Wir setzen uns für ein Level-Playing-Field mit gleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU, zwischen traditionellen und innovativen Geschäftsmodellen und gegenüber großen Digitalunternehmen ein. Das europäische Finanzmarktaufsichtsrecht machen wir fit für die Digitalisierung und für komplexe Konzernstrukturen, um eine ganzheitliche und risikoadäquate Aufsicht über neue Geschäftsmodelle sicherzustellen. Wir brauchen für den Kryptobereich eine gemeinsame europäische Aufsicht. Wir verpflichten Kryptoassetdienstleister zur konsequenten Identifikation der wirtschaftlich Berechtigten."

Versicherungen
"Bei der Überprüfung von Solvency II werden wir darauf achten, dass der europäische Versicherungsmarkt gestärkt und die Stabilität der Versicherungen noch besser gewährleistet wird, unter anderem indem Klimarisiken angemessen berücksichtigt werden. Wir wollen strikt evidenzbasierte und risikoorientierte Kapitalanforderungen. In diesem Rahmen müssen auch die Bedingungen für langfristige Investitionen von Kapitalsammelstellen verbessert werden. Auch für kleine Versicherungsunternehmen und Pensionskassen wollen wir für eine stärker proportionale Regulierung sorgen."

Die ersten Stimmen aus der Branche zeigen Zustimmung

Einige Branchenvertreter haben sich zum Koalitionsvertrag bereits zu Wort gemeldet, so der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) und Votum.

Rechtsanwalt Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Branchenverbands Votum, ist positiv gestimmt und kommentiert die Pläne der Ampelkoalition folgendermaßen: "Der Koalitionsvertrag zeigt: Der politische Gestaltungswille der Regierungsparteien ist da! Der von vielen Seiten geforderte Pragmatismus hat gefruchtet. Die Herausforderungen der kommenden Legislatur – insbesondere im Bereich der Reform der Altersvorsorge – sollen ohne ideologische Scheuklappen angegangen werden. Es ist zudem zu begrüßen, dass sich Maximalforderungen wie ein generelles Provisionsverbot, eine Erweiterung der BaFin-Aufsicht auf 34f-Vermittler und anderer Unsinn nicht durchsetzen konnten. Das lässt auf eine faktengetriebene Kompromissfindung im Laufe der vergangenen Wochen schließen. Für diese Professionalität haben SPD, FDP und Grüne großen Respekt verdient."

BVK begrüßt Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge

Auch der BVK begrüßt den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien: „Angesichts der vielen Aufgaben auf vielen politischen Handlungsfeldern ist es wichtig, dass bald wieder eine voll handlungsfähige Regierung ihre Arbeit aufnehmen kann“, sagt BVK-Präsident Michael H. Heinz. „Positiv ist, dass die Einführung einer Bürgerversicherung, wie sie in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen anvisiert wurde, keine Berücksichtigung gefunden hat.“

Zudem unterstützt der BVK das politische Bekenntnis zu den drei Säulen der Altersvorsorge. In die richtige Richtung gehe auch die Erhöhung des Sparerfreibetrages auf 1.000 Euro.

Verband bewertet Reform der privaten Altersvorsorge zurückhaltend 

Zudem befürwortet der BVK Pläne, bei der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige eine Wahlfreiheit mit Opt-out für private Altersvorsorge einzuführen. Zurückhaltend bewertet der Verband eine grundlegende Reform der privaten Altersvorsorge. Hier bleibe es abzuwarten, was die Prüfung alternativer privater Altersvorsorge mit einer höheren Rendite als Riester ergeben wird. Der BVK begrüßt jedoch den Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge.

„Wir sehen jedoch Pläne sehr kritisch, die mangelnde Finanzierung der gesetzlichen Rente mit zehn Milliarden Euro auszustatten, die über einen Staatsfonds am Kapitalmarkt angelegt werden sollen“, so BVK-Präsident Heinz. „Dies wird hier auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein und keine lebensstandardsichernde Rente für Millionen ermöglichen.“

 

 

 

+++ Stand bis 24. November 2021, vor der Vorlage des Koalitionsvertrags +++

Führende Finanzexperten von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CDU hatten sich auf dem 18. Hauptstadtgipfel des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung in Berlin zu ihren Vorstellungen zur aktuellen Regulierung geäußert. Viele regulatorische Eingriffe stehen weiterhin auf der Agenda der Parteien.

Stefan Schmidt, Mitglied im Finanzausschuss und zuständig für Anlegerschutz und finanziellen Verbraucherschutz für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich bei der Tagung auch zum Thema Provision versus Honorar.

Die Grünen hatten sich bislang eindeutig für einen Wechsel von der Provisions- zur Honorarberatung ausgesprochen. Diese Haltung scheint aber nicht in Stein gemeißelt, denn Schmidt zeigt sich auf der Tagung kompromissbereit: „Das Mindeste wäre, einen echten Wettbewerb der Vergütungssysteme herzustellen“. Dies sei bei weitem noch nicht der Fall, da derzeit auf einen/eine Honorarberater:in 158 mit dem Provisionssystem arbeitende Kolleg:innen kämen.

Zu echtem Wettbewerb gehört für Schmidt, die Kostentransparenz über Nettotarife auszuweiten und eventuelle Schwachstellen von Honorarordnungen zu beseitigen. Der Nachteil einer Umsatzsteuerpflicht für ein Honorar im Vergleich zur umsatzsteuerbefreiten Provision könne unter der Prämisse eines fairen Wettbewerbs nicht bestehen bleiben. Schmidt sprach sich zudem für eine materielle Prospektprüfung seitens der BaFin aus und befürwortete die Aufsicht der Behörde über die rund 38.000 Finanzanlagenvermittler:innen, die in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden konnte.

Florian Toncar, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und in der vergangenen Legislaturperiode deren finanzpolitischer Sprecher, bezog in der Diskussion um Provisionsverbote klar Stellung: „Kein Vergütungsmodell ist per se besser als das andere. Der Kunde darf nicht bevormundet werden. Der Zugang zu Beratung muss auch weiterhin für alle Bevölkerungsschichten erhalten bleiben“, so Toncar, der damit auf die aus Großbritannien bekannte „Advice Gap“ anspielte. Denn Provisionsverbote führten oftmals dazu, dass Beratung erst ab einem gewissen Verdienst und Vermögen erschwinglich sei.

Bereits im April 2017 zeigt ein Fraktionsbeschluss, warum Bündnis 90/Die Grünen sich gegen eine Honorarberatung aussprechen und wie ihre Lösung aussieht.

"Wir wollen Interessenkonflikte durch provisionsbasierte Beratung verhindern. Eine durch Provision motivierte Vermittlung bevorzugt Produkte mit lukrativen Provisionen. Obwohl dadurch eine qualitativ hochwertige Beratung nicht ausgeschlossen ist, besteht insgesamt die Gefahr von Fehlberatungen an den individuellen Bedürfnissen der Kunden vorbei. Wir müssen daher schon heute die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, um einen sukzessiven Übergang von der abhängigen Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung zu vollziehen. Dafür müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Berater sofort abgebaut und ein klarer Zeitplan für den Ausstieg aus der Provisionsberatung bis zum Jahr 2030 festgelegt werden.

Wir wollen eine gesetzlich fixierte Honorarordnung. Dadurch lässt sich den Formen der honorarbasierten Beratung eine Vergütung zuordnen. Eine flächendeckende, allgemeingültige Verordnung stärkt das Leitbild der Beraterin und des Beraters. Zudem wollen wir dadurch die Arbeitsbedingungen in der Versicherungsbranche verbessern. In der Branche ist der Zeit- und Leistungsdruck besonders hoch. Dazu tragen die Zielvereinbarungen bei, die in der Versicherungswirtschaft besonders häufig zur Leistungssteuerung eingesetzt werden und die derzeit gängigen Vergütungsmodelle bei. Werden die Ziele nicht erreicht, steigt der psychische Druck auf die Beschäftigten. Das wird sich ändern, wenn kundenorientierte Vergütungsmodelle eine größere Verbreitung finden.

"Ich sehe hier keinen akuten politischen Handlungsbedarf"

Schon im September 2020 äußerte sich Christian Lindner auf der MMM-Messe der Fonds Finanz zum Thema Provisionsberatung in einem Interview. Es bleibt abzuwarten, ob die FDP in einer künftigen Regierung auch noch so argumentiert.

Verbraucherschützer wollen Versicherungsvermittlung auf Provisionsbasis durch Versicherungsberatung auf Honorarbasis ersetzen. Begründung: Das Eigeninteresse der Vermittler am Abschluss eines Vertrages sei zu groß. Wie ist da Ihre Position?
Christian Lindner: Die provisionsgebundene Vermittlung hat bei den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin eine hohe Akzeptanz. Ich sehe hier keinen akuten politischen Handlungsbedarf. Wenn es aufgrund falscher Anreize zu fehlerhafter Beratung oder Vermittlung kommt, schadet das vor allem der Versicherungsbranche selbst, weil das Vertrauen in Makler schwindet. Hier würden also seriöse Finanzvermittler von sich aus tätig werden. Im Übrigen hat die Provisionsberatung im Unterschied zur Honorarberatung eine geringere Hürde. Der Vermittler, der einem Berufseinsteiger ein erstes Produkt anbietet, macht dies als Investition in eine langjährige Kundenbeziehung. Er schafft zugleich eine Sensibilität bei dem Kunden. Ein Berufseinsteiger wird kaum eine umfängliche Beratung auf Honorarbasis veranlassen. Zudem hat eine kleine Anfrage unserer Bundestagsfraktion gezeigt, dass die Bundesregierung selbst so gut wie keine Daten darüber hat, wie oft in Deutschland Honorar- oder Provisionsberatungen jeweils in Anspruch genommen werden. Auf einer solchen Grundlage können meines Erachtens ohnehin keine fundierten Entscheidungen seitens der Politik getroffen werden.

Kritiker der Provisionsberatung argumentieren, wenn Makler weniger Provisionserlöse haben, handeln sie auch nicht gegen die Interessen ihrer Kunden.
Christian Lindner: Über den Verbraucherschutz muss man sprechen, doch dieser Vorstoß läuft genau auf das Gegenteil hinaus. Keinem Kunden ist geholfen, wenn ausgerechnet Mehrfachvermittler mit gewachsener Berufserfahrung und einem breiten Kundenstamm in ihrer Arbeit beschränkt werden. Außerdem würde der Provisionsdeckel einen hohen Schaden für die Finanzwirtschaft bedeuten und so den aktuellen Konjunktureinbruch noch verstärken. Angesichts der drastischen Rezession bräuchten wir stattdessen ein umfassendes Moratorium für Finanzmarktbürokratie, wie es die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat.

Quellen: AFW, BVK, Fonds Finanz, Bündnis90/Die Grünen, FDP, Votum

Autor(en): Meris Neininger

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