Geht Versicherung auch einfacher?

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Versicherungen sind schwer verständlich, aufwändig zu beraten und kaum grenzüberschreitend im Binnenmarkt zu handeln. Ob das so sein muss, und welche Alternative es dazu gibt, ist Gegenstand einer Doktorarbeit.

Der Europäische Binnenmarkt bleibt eine Fiktion – jedenfalls wenn es um Versicherungen geht, meint Buchautorin Viktoria Jank, deren juristische Dissertation nun als Buch vorliegt. Nur ein Prozent der Versicherungsverträge würden grenzüberschreitend abgeschlossen, jedenfalls im Massengeschäft mit Privatkunden.

Als ein wesentliches Hindernis arbeitet sie heraus, dass Versicherungen nationalen Rechtsrahmen unterliegen, vor allem national höchst unterschiedlichen Versicherungsvertragsgesetzen. Für Versicherungsunternehmen komme das Problem hinzu, dass sie im Verbrauchergeschäft keine Freiheit der Rechtswahl genießen, sondern das Recht am Sitz des Kunden gilt. Deshalb bieten selbst international tätige Versicherer lieber jeweils nationale Versicherungsprodukte an als europaeinheitliche.

Auch die Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie mit ihren Produktaufsichtsbestimmungen für Versicherer und solche Vermittler, die Produkte konzipieren, werden daran nichts ändern, kritisiert die Autorin. Durch eine Zielmarktdefinition allein würden Versicherungen nicht verständlicher.

Versagt der Markt wirklich?

In dieser Gesamtsituation allerdings ein Marktversagen zu sehen, ist eine schlecht begründete Dramatisierung der Lage. Ein Marktversagen müsste man daran erkennen können, dass es in der Union insgesamt oder in wichtigen Teilen beispielsweise keine Hausrat-, Gebäude-, Kfz- und Haftpflichtversicherungen zu kaufen gibt, eben weil der privatwirtschaftliche Markt versagt. Davon kann nun wirklich keine Rede sein.

Die verschiedenen Rechtsordnungen innerhalb der EU wären eigentlich gar nicht das Grundproblem, so ein weiterer Argumentationsstrang. Denn Versicherungen seien keine Rechtsprodukte im eigentlichen Sinn, sondern zunächst einmal wirtschaftliche Handelsgüter, bei deren Ausgestaltung rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten sind. Dazu zitiert die Autorin verschiedene Definitionen der Versicherung und entscheidet sich für die betriebswirtschaftliche nach Farny als Basis der weiteren Überlegungen.

Versicherung ist kein Produkt, sondern eine Dienstleistung

Im Weiteren orientiert sich die Autorin allerdings zu eng am Begriff Produkt und untersucht nicht anhand der einschlägigen Literatur den Dienstleistungscharakter von Versicherungen näher. Dienstleistungen unterscheiden sich keineswegs nur in ihrer Immaterialität von Produkten, wie sie es für ihre Arbeit annimmt. Viel entscheidender dürfte die zwingende Einbeziehung des Kunden in die Entstehung der Dienstleistung sein.

Bis auf sehr seltene Ausnahmen ist eine Versicherung eben gerade kein vorgefertigtes Produkt, das fertig ins Regal gelegt und einem Kunden nach Belieben abverkauft werden kann, sondern eine Leistung, die erst durch ein mehr oder weniger standardisiertes Erheben der Wünsche und Bedürfnisse des Kunden und eine Anpassung von im Massengeschäft vorkonfigurierten Leistungsbestandteilen entsteht. Das Ergebnis ist ein absolut individueller Versicherungsschutz. Die Kunden Meier und Müller aus der Musterstraße 1 und der Musterstraße 2 könnten ihre jeweiligen Hausratpolicen nicht einfach untereinander austauschen und weiter nutzen.

Insofern ist es auch eher wenig hilfreich, ausführlich auf die Vorteile der Standardisierung beim Automobilbau einzugehen, wie die Doktorin am Beispiel des T-Modells von Ford oder der japanischen Autoindustrie aufzeigt. Denn Meier und Müller hätten ihren jeweiligen Ford Model T sehr wohl untereinander austauschen und nutzen können.

Europäische Norm für Versicherungen

Kern der Arbeit ist die Untersuchung der Möglichkeit, Versicherungen zu standardisieren und dadurch sowohl die Verständlichkeit für Laien als auch die Handelbarkeit im ganzen Binnenmarkt herzustellen. Im Ergebnis empfiehlt die Autorin eine europäische Normung (CEN) von Versicherungen, die von der Europäischen Kommission sogar in Auftrag gegeben werden müsste, um die Probleme fehlender Standardisierung zu beseitigen. Dies sei das mildeste und am meisten den Wettbewerb schonende Mittel, im Vergleich etwa zu einer Europäischen Richtlinien oder noch schlimmer einer unmittelbar wirksamen Verordnung. Damit würde zudem der Gordische Knoten zerschlagen, der sich in Jahrzehnten des vergeblichen Standardisierungsversuchs der EU auf verschiedenen Wegen wie unter anderem einem Europäischen VVG gebildet hat.

Warum allerdings die Autorin in diesem Zusammenhang nicht die bereits vorhandenen Ansätze wie die seit 2014 verfügbare Industrie-spezifische Norm zur Finanzberatung privater Haushalte (DIN SPEC 77222) oder die auch 2017 bereits in Vorbereitung befindliche, inzwischen in Kraft getretene DIN-Norm 77230 heranzieht, bleibt ihr Geheimnis.

Nur ein idealistischer Ansatz

Auch wird nicht differenziert, ob eine CEN-Norm jede Versicherung binnenmarkttauglich machen kann, selbst wenn sie wie unter anderem die Riesterrente nationalen steuerlichen Förderungen und damit einer eingeschränkten Verwendbarkeit in der Union unterliegt, oder wenn sie wie die private Krankenvollversicherung von vornherein nur einheimischen Anbietern erlaubt ist anzubieten.

So bleibt der Vorschlag einer Lösung aller Probleme mit einer CEN-Norm ein idealistischer Ansatz. Eingebettet in die Arbeit ist schließlich noch ein Vorschlag ihres Doktorvaters zur besseren Gliederung deutscher Versicherungsbedingungen – bei einer europäischen Norm wäre dieser Vorschlag überflüssig. Gibt es aber absehbare keine, könnte man den Gedanken weiter aufgreifen. Dann aber sollte dies wesentlich konkreter und detaillierter entwickelt werden, um den letztlich sehr verschiedenen Arten von Versicherungen gerecht werden zu können.

Lesetipp

Viktoria Jank: Produktstandardisierung für Versicherungen – eine verbraucher- und binnenmarktfreundliche Alternative?, 294 Seiten Din A5, ISBN 978-3-96329-025-1 (Print, auch als E-Book verfügbar), 57 Euro, 2018 Verlag Versicherungswirtschaft

Autor(en): Matthias Beenken

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