Irrtümer beim Thema Nachhaltigkeit

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Die Versicherungswirtschaft und die Vermittler müssen Kunden seit August vergangenen Jahres zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen fragen, wenn es um Versicherungsanlagen geht. Aber wollen das die Kunden überhaupt?

Versicherungen werden verkauft, nicht gekauft. Versicherungen interessieren die Kunden nicht, Informationen dazu lesen sie schon einmal gar nicht. Und jetzt noch über Nachhaltigkeit reden? Dann steigen die doch endgültig aus. Das wollen die nun wirklich nicht.

So lassen sich gern erzählte „Weisheiten“ des Versicherungsvertriebs zusammenfassen. Wie eine selbst erfüllende Prophezeiung folgen dann auch die Berichte über ein mäßiges Kundeninteresse und fehlende Verkaufserfolge mit nachhaltigen Versicherungen. Man hat es ja gleich gewusst.

Sieben von zehn Kunden wollen Nachhaltigkeit

Eine aktuelle Kundenbefragung relativiert diese Aussagen deutlich. 82 Prozent der 2.000 bevölkerungsrepräsentativ befragten Personen zwischen 18 und 69 Jahren können mit dem Begriff Nachhaltigkeit etwas anfangen, und immerhin 70 Prozent ist die Nachhaltigkeit wichtig. Und zwar so wichtig, dass immerhin 44 Prozent aller Befragten dafür ihr Verhalten verändern wollen und 28 Prozent selbst in einem Inflationsumfeld Preissteigerungen für mehr Nachhaltigkeit zu akzeptieren bereit sind. Dabei müssten sie das gar nicht einmal akzeptieren, denn Nachhaltigkeit muss nicht mit einem Renditeabschlag einhergehen, wenn man die Kosten so übersetzen will.

Die Kunden verbinden fast immer ökologische Aspekte und speziell den Klimaschutz mit dem Begriff Nachhaltigkeit. Von den drei magischen Buchstaben ESG kommt also nur E in den meisten persönlichen Definitionen der Nachhaltigkeit vor. Das muss kein Nachteil sein, denn auch beim Gespräch über nachhaltige Versicherungen sind die Folgen des Klimawandels viel anschaulicher zu erklären als manche der von der Europäischen Union doch noch sehr vage definierten sozialen Aspekte oder der guten Unternehmensführung.

Woher sollen die Kunden den Zusammenhang kennen?

Die Kunden stellen dabei sofort einen Bezug her zu Themen des persönlichen Konsums: Lebensmitteleinkauf, Heizung, technische Geräte im Haushalt. Da leuchtet den Befragten der Zusammenhang ein, und jeweils mehr als sechs von zehn Befragten geben an, bei diesen Themen auf Nachhaltigkeit zu achten. Dagegen sind es bei Geldanlagen nur 26 Prozent und Versicherungen 21 Prozent.

Stimmt also doch die These, dass die Kunden generell Versicherungen und speziell nachhaltige Versicherungen gar nicht interessieren? Das wäre ein falscher Schluss.

Denn der Zusammenhang drängt sich so wenig auf, dass selbst Versicherungsunternehmen ganze Projektgruppen zur Nachhaltigkeit einrichten, externen Rat zur Formulierung von Nachhaltigkeitsstrategien einkaufen oder Schulungsprogramme für den Vertrieb auflegen mussten. Kaum einem Laien dürfte spontan beim Begriff Versicherung einfallen, er könne indirekt über die Kapitalanlagen des Versicherungsvertrags Einfluss auf eine nachhaltige Transformation der Realwirtschaft nehmen.

Da leuchtet es schon deutlich eher ein, dass weniger gefahrene Kilometer mit dem Verbrenner-Auto, ein Verzicht auf Auslandsflüge oder eine um mehrere Grad kälter eingestellte Heizung der Umwelt dienen und den Klimawandel bremsen helfen. Oder dass ein bewussterer Einkauf von Lebensmitteln, Kleidung, Kosmetika und Technik und weniger Verschwendung den gleichen Effekt haben.

Die Branche ist zu wenig mitteilsam

Zudem kann man den Kunden schwer verdenken, dass ihnen nicht unmittelbar ein Zusammenhang zwischen Versicherungen und Nachhaltigkeit einfällt, wenn die Branche selbst in dieser Hinsicht eine übergroße Zurückhaltung zeigt. Nur sieben Prozent der Befragten haben schon mal Werbung zur Nachhaltigkeit von Versicherungen wahrgenommen und sechs Prozent Informationen dazu bekommen.

Mit vier Prozent noch weniger wurden schon einmal zu ihren Wünschen bezüglich Nachhaltigkeit befragt. Das ist allerdings sogar fast schon viel, wenn man berücksichtigt, dass die Pflicht dazu erst zum 2. August 2021 eingeführt wurde und die Übergangszeit zu deren Umsetzung ein Jahr später am 2. August 2022 endete, also erst wenige Monate vor dieser Kundenbefragung. Aber insgesamt liegt es doch auf der Hand, dass bei diesen sparsamen und selektiven Ansprachen kaum zu erwarten ist, dass Kunden die Verbindung zwischen Versicherung und Nachhaltigkeit herstellen. Was übrigens für die große Mehrheit der Kunden eine sehr positive Verbindung wäre.

Das Interesse lässt sich deutlich steigern

Die Kunden wollen gar keine Informationen von ihrer Versicherung? Das haben immerhin 26 Prozent der Kunden komplett anders gesehen und auf einer fünfteiligen Skala von überhaupt keinem bis zu vollem Interesse die beiden oberen Antwortoptionen gewählt. Und es sind sogar jeweils über 40 Prozent bei denjenigen Kunden, die schon einmal Werbung oder Informationen zu diesem Thema wahrgenommen haben. Es lohnt sich also doch, seine Kunden anzusprechen.

Bei allem Verständnis für die sehr komplexen und immer noch lückenhaften Rechtsvorgaben, die die Versicherer und die Vermittler bei der Umsetzung in nachhaltige Produkte und in passende Beratungsprozesse beeinträchtigen, werden hier Chancen liegengelassen. Und das übrigens ausgerechnet bei den interessantesten Kunden: Die besonders für Nachhaltigkeit empfänglichen Teilnehmer haben auch mehr Versicherungen abgeschlossen und geben mehr Geld dafür aus als der Durchschnitt. Sie sind zudem beratungsaffin und glauben nicht, dass Versicherungen nur nach Preis und im Internet ausgewählt werden sollten.

Solche Kunden nicht auf das Thema Nachhaltigkeit anzusprechen, sie aufzuklären und ihnen aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es auch heute schon gibt, sein Geld als Kunde thematisch fokussiert anzulegen, ist nicht gerade der kürzeste Weg zum Erfolg.

Autor(en): Matthias Beenken

Zum Themenspecial "Nachhaltigkeit"

 

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