Klar ist, dass erst einmal nichts klar ist

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Am Ende des 26. September 2021 war klar, dass erst einmal nichts klar ist. Nur dass die SPD der große Gewinner, die CDU der größte Verlierer der Bundestagswahl 2021 ist und Bündnis 90/Die Grünen vielleicht der Königsmacher der nächsten Regierung sind. Recht sicher ist auch, dass an der FDP bei der kommenden Regierungsbildung kein Weg vorbeiführt. Für die Vermittlerschaft vielleicht die positivste Botschaft an diesem Abend.  

Die FDP erhält 46 Prozent der Stimmen, die CDU/CSU 23 Prozent. Wie bitte? Das sind selbstverständlich nicht die Stimmenverhältnisse der gestrigen Bundestagswahl, sondern nur das Wunschbild vieler Versicherungsmakler und Versicherungsmaklerinnen nach einer Umfrage des AfW Bundesverbandes Finanzdienstleistungen vom Juli 2021. Die aktuelle Realität sieht etwas anders aus.

Die Hochrechnung um 23 Uhr am 26. September 2021 lieferte folgende Zahlen:

CDU/CSU: 24,5 Prozent
SPD: 26 Prozent
Bündnis 90/Die Grünen: 13,9 Prozent
FDP: 11,7 Prozent
AfD: 11,2 Prozent und
Die Linke: 5 Prozent

Aus diesen Zahlen lässt sich immerhin herauslesen: An der FDP kommt keiner mehr vorbei, sie ist mit ihren nahezu zwölf Prozent ein interessantes Schwergewicht geworden. CDU/CDU und SPD liegen nahe beieinander, wobei CDU/CSU mit diesem Ergebnis die eindeutigen Verlierer sind, die SPD nach einer langen Dürreperiode ordentlich zugewonnen hat und nun mit stolz geschwellter Brust die Kanzlerschaft für sich proklamiert. Bündnis 90 /Die Grünen haben zwar nicht ihr angepeiltes Ziel erreicht – grüne Kanzlerin und 20 Prozent plus - , sind aber mit ihren rund 14 Prozent ein Partner, der mitmischen will und auch wird.

„Olaf Scholz kann Kanzler“

Und wie interpretieren die Parteien selbst den Ausgang der Wahl, die von vielen gerne als historisch eingestuft wird:   
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, freute sich über „den grandiosen Erfolg der SPD“ und zeigt sich überzeugt, dass die Bürger Olaf Scholz gewählt hätten, weil dieser die absolute Kompetenz für das Kanzleramt besitze. O-Ton Heil: „Olaf Scholz kann Kanzler“. Scholz selbst äußerte sich am Wahlabend in seiner bekannt nüchternen und eher unpräzisen Art zu seinem und dem Erfolg seiner Partei: „Wir wollen mehr Zuversicht in unsere Zukunft bringen“. Dass die Bürger ihm dies wohl zutrauen, zeigt auch eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen. Bei dieser waren zum Beispiel 33 Prozent der Bürger davon überzeugt, dass Scholz der richtige Mann für das Thema Rente und Vorsorge ist.

Gefragt nach seinen bevorzugten Koalitionspartnern sprach er sich vor allem für ein Ampelbündnis aus (ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP). „Wir haben eine sehr große Schnittmenge zu gelb und grün“, lautete seine Position am Wahlabend.

„Wir sind nun sehr eigenständig“

Die FDP liebäugelt hingegen mit einem Jamaika-Bündnis (ein Bündnis aus CDU/CSU, Grünen und FDP). Die Chancen für ein derartiges Bündnis stehen nicht schlecht, auch weil die FDP nun schon in zwei Bundestagwahlen hintereinander mit über zehn Prozent überzeugen konnte und so ein gewichtiger Koalitionspartner sein kann. Christian Linder, Bundesvorsitzender der FDP, drückt dies selbstbewusst so aus: „Wir sind nun sehr eigenständig“.   

Auch Bündnis 90/Die Grünen können sich mit einer Jamaika-Koalition anfreunden, das vermittelte auch ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck in einem Interview. In diesem bekannte er zwar, dass zwischen seiner Partei und der FDP „die größte thematische Polarität“ herrsche, vor allem in Steuer- und Finanzfragen. Ein frühzeitiger Einstieg in die Sondierungsgespräche könne hier aber schnell Klarheit schaffen. Bei früheren Koalitionsgesprächen und auf anderer Ebene hätte sich diese Vorgehensweise als gut und richtig erwiesen.

„Wir brauchen jetzt eine Zukunftskoalition“

Und wie steht die CDU/CSU zu ihrer krachenden Niederlage? Kanzlerkandidat Armin Laschet gab vor seinen Parteifreunden und den Kameras zu, dass man mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden sein könne, aber immerhin hätten sie noch einen „gelungenen Endspurt hingelegt“ und die Stimmen für seine Partei, seien Stimmen gegen eine linksgeführte Regierung. „Wir brauchen jetzt eine Zukunftskoalition“ betonte er und zeigt damit, dass er sich noch nicht geschlagen gibt, noch an seine Partei als Führungskraft und sich als Kanzler glaubt.  

CSU-Chef Markus Söder musste sich natürlich auch noch zur Wort melden, relativ handzahm und um die neuen Starken werbend: „Alles ist noch möglich. Wir sollten nun die Chance für eine bürgerliche Politik ergreifen, für ein Bündnis der Vernunft, für eine Regierung der Stabilität und Modernität. Wir glauben fest an ein Jamaika-Bündnis.“

 

Und was bedeutet dieses Wahlergebnis nun für die Versicherungswirtschaft, für die Versicherungsvermittlung?
Wie werden die Themen bAV, Bürgerversicherung, Provisionsdeckel oder Riester-Rente vor allem von den potenziellen Regierungsneulingen wie FDP und Bündnis 90/Die Grünen behandelt? So ist beispielsweise die FDP überzeugt, dass „die Riester-Rente reformiert werden muss“. Daneben macht sie sich für eine so genannte Aktienrente nach schwedischem Vorbild stark. Das bedeutet: Künftig sollen zwei Prozent der ersten Säule der Altersversorgung für kapitalgedeckte Investitionen sichergestellt werden. Und einen Provisionsdeckel soll es mit den Liberalen nicht geben, diesen sehen sie „sehr kritisch“.  

Ganz anders sieht dies natürlich bei den Grünen aus. Die Partei will „einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds errichten, der ein kostengünstiges Standardprodukt anbietet“. Außerdem setzt sich die Partei dafür ein, „mittel- bis langfristig von der provisionsbasierten Beratung auf die Honorarberatung umzusteigen – in Abstimmung mit der Branche.“ Diesen letzten Halbsatz wird sich die Versicherungswirtschaft sicher merken.

Doch bis diese branchenrelevanten Themen ins Gesichtsfeld der neuen Regierung kommen, werden sicherlich noch einige Wochen und Monate vergehen, denn zu viel ist aktuell noch im Unklaren.

Noch eine Notiz am Rande

So verunglückt wie ein Großteil seines Wahlkampfs ablief, so unglücklich gestaltete sich auch seine Stimmabgabe: Armin Laschet hatte seinen Stimmzettel nicht korrekt gefaltet, so dass - vor laufenden und klickenden Kameras sowie anwesendem Wahlvolk - zu erkennen war, wem er seine Erst- und Zweitstimme gegeben hatte. Ein Parteikollege beschwichtigte nach diesem Faxpas mit den Worten, dass ja wohl selbstverständlich sei, dass der Kanzlerkandidat bei sich und seiner Partei das Kreuzchen mache.

Doch das Wahlgeheimnis untersagt, seinen Stimmzettel offen einzuwerfen. Der Wähler müsse ihn „in der Weise falten, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist“, heißt es auch auf der Website des Bundeswahlleiters. Ein beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes zur Schau stellen des Stimmzettels kann eine potenzielle Wahlbeeinflussung sein, so dass eine Stimmabgabe als ungütig erklärt werden kann. Doch der Bundeswahlleiter sah dieses nicht korrekte Vorgehen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten als unproblematisch an. Er erklärte den Stimmzettel als gültig. Glück gehabt.

Autor(en): Meris Neininger

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