Kongress Pflege: Damit nach dem Klatschen noch mehr kommt

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Seit Jahren, genauer seit Jahrzehnten kämpft die Pflegebranche um Anerkennung, mehr Geld und selbstbestimmtes Handeln. Die Corona-Pandemie hat diesen Wunsch nur noch geschärft. Der Ton der Forderungen zwischen Pflegeverantwortlichen und den politisch Verantwortlichen wird rauer, das war auch auf dem "Kongress Pflege 2021" zu spüren. Veranstalter ist hier die Springer Medizin Verlag GmbH. Ein Schwesterunternehmen von Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, in der auch www.versicherungsmagazin.de publiziert wird.

Besonders der jüngste Wunsch der Politik, dass die Auszubildenden in der Pflege bei den anstehenden Impfaktivitäten mithelfen sollen, stößt bei den Entscheidern in der Pflegebranche auf Widerstand. Das machte vor allem Christine Vogler, Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates (im Bild links), bei einer hybriden Podiumsdiskussion auf dem Pflege-Kongress unmissverständlich deutlich: „Die Auszubildenden sind in der Pandemie schon stark belastet und helfen bereits bei den Impfungen mit. Und seit gut einem Jahr müssen sie schon unter Corona-Konditionen arbeiten.“ Diesen Umstand hätte die Politik wohl noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Da kämen derartige politischen Forderungen wohl etwas unpassend.
Und dann rutschte ihre Argumentation in eine Grundsatzdiskussion ab, offenbarte langjährige Verletzungen: „Angehörige des Pflegestandes werden einfach nicht für voll genommen, man verweigert uns immer wieder, als Profession agieren zu können“. Selbst das Wort „Entmündigung“ fiel. Die Nerven liegen zurzeit wohl blank, bei allen Beteiligten, das war bei der hochkarätig besetzten Diskussionsrunde klar zu erkennen.

"Wir verstehen uns als Helfer und Partner für die Pflege"

Diese Schelte wollte die Bundefamilienministerin Franziska Giffey (im Bild rechts) aber so nicht stehen lassen. Sie und die Ministerkollegen Spahn und Heil hätten keineswegs eine derartige Forderung formuliert, nur alle vorhandenen Kräfte im Kampf gegen die Pandemie mobilisieren wollen und dabei auch „den Wunsch geäußert“, dass auch die Pflege-Azubis in diesem Bestreben eingebunden werden sollten. O-Ton Giffey: „Wir, Jens Spahn, Hubertus Heil und ich, verstehen uns als Helfer und Partner für die Pflege.“ Zudem dürfe man nicht ausblenden, dass sich im Pflegesektor schon Einiges getan habe, dabei verwies sie auf den neuen Pflege-Studiengang an der Charite in Berlin. Zudem verfolge die „Konzertierte Aktion Pflege“, die eben auch von Spahn, Heil und ihr angestoßen worden sei, konkrete Ziele wie die Digitalisierung der Pflege, eine bessere Bezahlung und Ausbildung der Branchenteilnehmer sowie die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich zu verbessern.  

In der jüngsten Vergangenheit 13.000 neue Stellen geschaffen

Auf die Aufstockung des Pflegefachpersonals wies auch Bundegesundheitsminister Jens Spahn hin, der nicht in Berlin vor Ort sein konnte, aber mit einem virtuellen Grußwort in die Diskussionsrunde zugeschaltet wurde. 13.000 neue Stellen seien in der jüngsten Vergangenheit geschaffen worden, verkündete er stolz. Er räumte aber auch ein, dass noch einige Verbesserungen ausstünden. So müsse die elektronische Dokumentation der Pflegeleistungen noch mehr eingesetzt werden, eine umfangreiche Testung der Telepflege sei hier ein wichtiger Baustein.

Jens Spahn hat in jüngster Zeit für viel Aufmerksamkeit gesorgt, weil er den Eigenanteil der Pflegebedürftigen „verlässlich begrenzen“ möchte. Dies betonte er auf dem „Kongress Pflege 2021“ erneut. Doch nicht nur die Kostendeckelung sei ein wichtiges Anliegen seines Ministeriums, sondern auch, dass Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, besser unterstützt werden und Pflegekräfte auch grundsätzlich nach Tarif bezahlt werden. „Pflege ist DIE Frage der 20er Jahre“, betonte Spahn. Dies wolle er auch dadurch untermauern, dass die Reform der Pflegeversicherung noch in diesem Jahr umgesetzt werde.

Corona-Pandemie wirkt im Pflegesektor wie ein Brennglas

Ins gleiche Horn stieß auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, wobei er auf das bislang Geleistete verwies, aber auch verkündete, wo es noch Nachholbedarf gebe. „Ein erster Schritt ist mit der Erhöhung der Pflegemindestlöhne getan, eine Angleichung in Ost und West wird kommen“. Welche Defizite es im Pflegebereich gebe, hätte auch die Corona-Pandemie gezeigt. Diese würde hier „wie ein Brennglas wirken“. Gut sei auch, dass die Weiterbildungsquote in der Pflege um gut 40 Prozent gesteigert werden konnte, sicher aber müsse „noch mehr in den Gesundheits- und Pflegesektor investiert werden“.

(Anmerkung der Redaktion: Am 28. Januar 2020 hat sich die Pflegekommission auf höhere Mindestlöhne für Beschäftigte in der Altenpflege geeinigt: Seit 1. Juli 2020 sollen nun die Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte in Ost und West in vier Schritten auf einheitlich 12,55 Euro pro Stunde steigen. Die regional unterschiedlichen Pflegemindestlöhne sollen zum 1. September 2021 endgültig angeglichen sein.)

Mehr Engagement in Bezug auf die Tarifverträge forderte Heil aber auch von den Verantwortlichen im Pflegemanagement. Er sieht die mangelnde Tarifbildung der Branche als systemisches Problem, nicht als „kleine Schraube, an der gedreht werden müsste". In leicht ironischem Ton vermerkte er: „Es wäre mir eine große Freude - und nicht erst nach der Bundestagswahl - wenn ein Tarifvertrag in der Altenpflege zustande kommt, dieser endlich bei mir angemeldet wird und ich ihn als allgemeinverbindlich verkünden kann. Die Chance ist da, aber nun brauche ich etwas Mithilfe von Seiten der Sozialpartner. Dies wird die Situation der Pflegekräfte ganz sicher verbessern. Ich erlebe aber jetzt schon, dass einige der Sozialpartner gegen ein derartiges Vorhaben klagen wollen.“ Laut Heil sind aktuell nur gut 20 Prozent der Beschäftigten im Pflegebereich tariflich gebunden.

Klinikum Darmstadt startet eigenes Forschungsprojekt

Einen interessanten Aspekt brachte Sabine Brahse, Pflegedirektorin der Klinikum Darmstadt GmbH, noch in die Runde ein. Ihr Haus hat ein Forschungsprojekt gestartet, das sich mit der psychischen und physischen Belastung von Pflegekräften in einer derartigen pandemischen Situation beschäftigt. Der Grund für die Forschungsarbeit: Diesbezügliche valide Daten seien veraltet, noch aus den Jahren 1918 bis 1920. In dieser Zeit grassierte die Spanische Grippe. Die Pandemie erfolgte in drei Wellen und tötete damals schätzungsweise zwischen 27 bis 50 Millionen Menschen.

Laut Brahse zeigt sich bis dato, dass Pflegende in Corona-Abteilungen übermäßig belastet sind, da die Arbeit auf diesen Stationen eine 24-Stunden-Präsenz erfordere. Zudem würden sie in ihrem privaten Umfeld mit sozialer Kälte konfrontiert. So würden man ihr harte Arbeit zwar aus der Ferne honorieren, aber gleichzeitig würden sich zum Beispiel Nachbarn von ihnen abwenden, weil sie eine Ansteckung fürchteten.

Die Zwischenbilanz von Brahse lautet: „In der Pflege müssen wir endlich Arbeitsbedingungen schaffen, damit die dort Tätigen dort auch lebenslang arbeiten können und wollen. Dienstplanmodelle können hier zum Beispiel helfen. Auch die wertorientierte Führung muss verbessert werden. Pflegekräfte brauchen eine dauerhafte Gleichstellung zu anderen Berufen und endlich eine angemessene finanzielle Anerkennung.“

Pflegekräfte sind systemrelevant – auf der ganzen Welt

Diese Position konnte Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, nur unterstreichen. „Nach dem Klatschen muss mehr kommen. Pflegekräfte sind systemrelevant – auf der ganzen Welt.“

Und wenn am Ende Politik und Pflegemanagement an einem Strang ziehen, wird vielleicht die bereits im Oktober 2019 ins Leben gerufenen Informationskampagne des Bundesfamilienministeriums "Mach Karriere als Mensch!" endlich wirklich viele junge Menschen für den Zukunftsberuf Pflege begeistern, weil dann die Komponenten Geld, Anerkennung und Selbstbestimmung endlich stimmen.  

Der „Kongress Pflege 2021“ läuft noch bis einschließlich 19. Februar 2021 - rein digital.

 

Autor(en): Meris Neininger

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