Lösungen statt Gummistiefelpolitik

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Die Versorgung der deutschen Haushalte mit Elementarschaden-Versicherungen ist zu gering. Hier besteht Handlungsbedarf. Darüber waren sich alle Expertinnen und Experten bei der Wissenschaftstagung des Bundes der Versicherten einig. Völlig unterschiedlich waren die Ansichten, was dagegen unternommen werden sollte.

Am 7. März beantragten die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg im Bundesrat, eine bundesweite Elementarschaden-Pflichtversicherung einzuführen. Zuvor hatte schon eine Arbeitsgruppe der Justizminister und -ministerinnen der Länder einen Bericht vorgelegt, wonach sie keine grundlegenden, verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Pflichtversicherung sehen. Allerdings konnte das bisher den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) noch nicht überzeugen.

Schlechte Erfahrung als Grund für Kaufzurückhaltung?

Hintergrund sind die verheerenden Schäden durch das Hochwasser nach dem Sturmtief Bernd in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 2021. Aber auch der Klimawandel macht es unabdingbar, wesentlich mehr in Prävention zu investieren oder gefährdete Lagen nicht mehr als Bauland auszuweisen. Der Bund der Versicherten e.V. widmete dem Thema seine 33. Wissenschaftstagung in Hamburg.

Professor Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung verwies auf die „volkswirtschaftlich relevante Dimension“ der Schäden bei Naturkatstrophen und gleichzeitig eine ungenügende Abdeckung von Gebäuden mit Elementarschaden-Zusatzdeckungen. Verantwortlich dafür seien auch die Kunden, die laut einer Umfrage zwar überwiegend grundsätzlich risikobewusst sind, aber nicht entsprechend handeln oder sich über die Art ihres Versicherungsschutzes im Unklaren sind. Das sei auch auf negative Erfahrungen mit Versicherungen zurückzuführen, wenn auch selten auf selbst gemachte. Das allein erklärt allerdings nicht den geringen Anteil der Elementarschadendeckung an den ansonsten sehr weit verbreiteten Gebäudeversicherungen.

Modelle liegen auf dem Tisch

Er stellte vier Lösungsvorschläge vor, vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), dem Gastgeber Bund der Versicherten (BdV) und dem Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV). Der GDV will vorwiegend über eine gesetzlich verankerte Opt out-Lösung mit Zustimmungsfiktion in den Bestandsverträgen die Durchdringung steigern. Der vzbv denkt an eine Allgefahrendeckung mit Opt out-Möglichkeit. Der Vorschlag des BdV knüpft an der kommunalen Grundsteuer an, die um einen Finanzierungsbeitrag zu einem Pool erhöht werden soll, aber mit Abwahlmöglichkeit bei Nachweis einer privaten Elementarversicherung. Der SVRV schließlich schlägt Wagner zufolge eine gesetzliche verpflichtende Basisversicherung für Extremschäden und die Option einer umfassenderen Deckung vor.

Ist genügend Risikokapital mobilisierbar?

Professorin Swenja Surminski von Marsh & McLennan warnte, „wir haben wenig Zeit“. Es würde zu viel in die Schadenbeseitigung und zu wenig in die Schadenverhütung investiert. Sie zeigte als Auslandsbeispiel auf, dass Großbritannien mit der Flood Re einen Rückversicherungspool mit Umlagefinanzierung geschaffen hat.

Frank Rastbichler von der Gothaer Allgemeine Versicherung erläuterte, dass der Schadenfall Bernd mit 8,5 Milliarden Euro versichertem und nach unterschiedlich aufgebauten Schätzungen zwischen rund 30 bis 40 Milliarden Euro Gesamtschaden zwar der teuerste Naturkatastrophenfall für die deutsche Versicherungswirtschaft war. Gleichzeitig sei die Wetterlage, die zu den Überflutungen führte, keine selten auftretende gewesen. Aus aktuarischer Sicht zeigte er auf, dass fast alle Lagen versicherbar sind, besonders exponierte aber nur in Verbindung mit Präventionsmaßnahmen. Und nicht unterschätzen dürfe man das erforderliche Risikokapital, dass Versicherer nach den Solvency II-Vorgaben vorhalten müssten.

Staatliche Rückversicherung und Cat-Bonds

Frankreich hat nach den Worten von Jakob Thevis vom Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz eine Lösung, die zwar nicht perfekt sei, aber funktioniere. Die Gebäude werden privat versichert, aber mit einer staatlichen Rückversicherung abgedeckt. Der Eintritt des Schadenereignisses wird staatlich festgestellt und eine Auszahlung innerhalb von drei Monaten vorgenommen.

Die Kommunen haben die Aufgabe der Risikoprävention. Kommen sie der Pflicht nicht nach, steigen die Selbstbehalte, wodurch die Bürger lokal Anreiz haben, auf ihre Kommunen Druck auszuüben. Die Elementarschadendeckung soll nur durchschnittlich 26 Euro im Jahr für Gebäude kosten bei einem Selbstbehalt zwischen 380 Euro und dem Vorfachen davon – wie das kalkulatorisch aufgeht, konnte nicht geklärt werden.

Analyst Carsten Zielke warb für Cat-Bonds als eine Möglichkeit der Finanzierung von Spitzenschäden. Damit ließen sich unzureichende Rückversicherungskapazitäten ergänzen. Auch seine Vorstellung geht in Richtung eines staatlichen Rückversicherers, er warb aber für eine europäische Lösung. Zudem könne man in den Bonds verschiedenartige, aber nicht miteinander korrelierte Katastrophenarten wie Pandemierisiken neben den Elementarschäden finanzieren. Zielke musste aber einräumen, dass solche Instrumente einen sehr hohen Zins von wohl zwölf bis 15 Prozent erforderlich machen könnten.

Pflichtlösung legitim und angemessen

BdV-Vorstandssprecher Stephen Rehmke setzte sich mit der Frage der verfassungsrechtlichen Bewertung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung auseinander. Die Pflicht ist nach seiner Beurteilung legitim. Kunden müssten vor finanzieller Überforderung und gleichzeitig den Staat vor dem „Charity Hazard-Problem“ bewahren werden. Letztlich könne der Staat seine Bürger nicht hängen lassen, auch wenn sie sich vorher gegen Versicherungsschutz entschieden hätten.

Die Pflicht sei außerdem angemessen, so lange die Prämien risikogerecht kalkuliert werden, was in einigen ausländischen Lösungen nicht der Fall ist. Allerdings müsse eine angemessene Maximalhöhe darstellbar sein. Aus dem Verfassungsziel des Umweltschutzes und dem 2021 ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klimafolgen leitete er das übergeordnete Ziel ab, die Anpassung an den Klimawandel unter anderem durch die Pflichtversicherung zu bewältigen und nicht weiterhin Belastungen über staatliche Schulden auf künftige Generationen zu verlagern.

Kein Modell im Ausland ist perfekt

Professor Dirk-Carsten Günther von der Technischen Hochschule Köln und der Anwaltskanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr erläuterte, dass auch in dem zuvor aufgezeigten Schweizer Modell einer Elementarpflichtversicherung einige rechtliche Tücken für die Versicherten lauern, sodass es nicht uneingeschränkt zur Nachahmung anrege. Zusätzlich gebe es eine früh einsetzende Kappungsgrenze für alle Schäden eines Schadenereignisses. Er habe sich auch mit anderen internationalen Pflichtsystemen befasst, sein ernüchterndes Fazit: „Es gibt kein Rundum-Sorglos-Paket“.

Am zweiten Tag erläuterte Professor Jörg Knieling von der Hafencity Universität Hamburg, wie man aus stadtplanerischer Sicht eine Anpassung an den Klimawandel vornehmen kann. Er zeigte den Zielkonflikt zwischen der Wohnungspolitik mit der Strategie der Nachverdichtung zur Bekämpfung der Wohnungsnot auf der einen und der Schaffung von Grünraum in der Stadt auf der anderen Seite auf.

Dirk Kohler von der United Nations University und deren Munich Climate Insurance Initiative brachte mit der parametrischen Versicherung eine weitere Variante ins Spiel. Dabei spart man die klassische Schadenregulierung, weil der Leistungsauslöser durch öffentlich verfügbare Wetterinformationen bestimmt ist. Seine Anwendungsbeispiele bezogen sich allerdings auf Kleinstversicherungen in Entwicklungsländern, eine Übertragbarkeit auf die deutsche Gebäudeversicherung wurde nicht thematisiert.

Freiheit versus Pflicht – bei verbesserter Prävention

In einer abschließenden Diskussionsrunde zeigten sich unterschiedliche Bewertungen der Situation innerhalb der Ampel-Koalition. Während die FDP-Bundestagsabgeordnete Anja Schulz für eine weiterhin freiwillige Versicherung plädierte und die heute schon hohen Kosten für viele Versicherte beklagte, zeigte der Grünen-Abgeordnete Stefan Schmidt Sympathie für eine Pflichtversicherung, allerdings mit sozialen Komponenten zum Schutz vor hohen Prämien und zur Vermeidung einer vollständigen Umlage auf Mieter durch Vermieter.

Einig waren sich beide Abgeordnete allerdings darin, dass Prävention als staatliche Aufgabe ernster genommen werden muss und die Bundespolitik hier liefern muss. Ein entsprechendes Gesetz sei in Vorbereitung. Anja Käfer-Rohrbach vom GDV warb für das von den Versicherern vorgeschlagene Modell und beklagte, dass in zahllosen Gesprächen mit Politik und Ministerien bisher noch kein ausreichender Wille zur Lösung erkennbar sei. Zudem verknappten sich die Rückversicherungsdeckungen weiter. Kleinere Versicherer könnten sich aus dem Markt zurückziehen müssen, weil sie die erhöhten Kapitalanforderungen bei einer Pflichtdeckung nicht stemmen können.

Vzbv-Versicherungsexperte Lars Gatschke erläuterte, dass das Versicherungsvertragsrecht eine sehr gute Handhabe für eine auch an Prävention orientierte Gestaltung einer Pflichtversicherung biete. Dazu würden sich besonders Obliegenheiten anbieten. Insgesamt wurde deutlich, dass es wohl einer Konzertierten Aktion bedarf, bei der sich die Lobbyverbände von Verbraucher- und von Anbieterseite auf eine Lösung einigen und der Politik vorschlagen sollten. Ein einfaches Einführen einer Versicherungspflicht ohne flankierende Maßnahmen in allen Ebenen des föderalen Staats jedenfalls löse die Probleme nicht.

Autor(en): Matthias Beenken

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