Müssen Versicherer die Welt retten?

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Sind Pandemien versicherbar? Hätten die Versicherer mehr tun können, ihre Kunden zu schützen? Und was erwartet die Versicherungsaufsicht von der Branche? Solche Fragen bewegten die Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft.

Elementarschäden sind nicht komplett versicherbar, so Professor Fred Wagner von der Universität Leipzig. Denn es fehlt hier an einer wichtigen Voraussetzung für die Versicherbarkeit, die Unabhängigkeit der Risiken voneinander. Auch Michael Pickel, Vorstandsvorsitzender der E+S Rückversicherung, sah Grenzen der Versicherbarkeit mit Blick auf die Pandemie. Hier müsse der Staat einspringen.

Kunden vor Naturkatastrophen warnen

Professorin Ina Ebert von der Münchener Rückversicherung wies ergänzend auf ein erhebliches Klagepotenzial aus Klimarisiken hin. Sie zeigte internationale Beispiele auf, bei denen zum einen Versicherer gegen die öffentliche Hand klagen müssen auf Sicherung einer ausreichenden Risikovorsorge. Zum anderen werden zunehmend Unternehmen für klimaschädigendes Verhalten in Anspruch genommen.

Wagner löste Diskussion mit seiner Kritik an den Versicherern aus. Am Beispiel des Sturmtiefs „Bernd“ und nachfolgenden, verheerenden Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeigte er auf, dass die Wetterlage und ihre Folgen bereits drei Tage vor Eintritt bekannt gewesen seien. Da hätten die Versicherungsunternehmen ihre Kunden warnen können. Mithilfe der oft beschworenen Digitalisierung müsste eine schnelle Weitergabe solcher letztlich lebensrettenden Informationen möglich sein.

Ein anschließender Schlagabtausch über juristische Fragen zeigte, dass Versicherer häufig viel zu ängstlich agieren. Anstatt einen Kundenservice als ihre Aufgabe zu sehen, würde zuerst abgewogen, ob eine Warnung später Haftungsfolgen haben kann, insbesondere dann, wenn die angekündigte Katastrophe doch nicht eintritt und Kunden vergebliche Sicherungsaufwendungen betrieben hätten. Einig war man sich lediglich darüber, dass es zwei Sichtweisen auf den Sinn eines Versicherungsverhältnisses gibt, die nicht immer leicht zueinander finden.

Pandemie gut bewältigt

Ob Resilienz, also eine Widerstandsfähigkeit des Unternehmens, bei der Bewältigung der Corona-Krise hilft, war Thema eines zweiten Plenums. Dieses war allerdings nur mit Vertretern der Arbeitgeberseite der Versicherungswirtschaft besetzt. So überraschte es nicht, dass sowohl Michael Niebler für den Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen als auch der Vorstandsvorsitzende der Sparkassen-Versicherung Sachsen, Gerhard Müller, und Robert Wehn, Arbeitsdirektor der Generali, ein rundum positives Bild von der Bewältigung der Pandemie in den Innen- und Außendiensten zeichneten.

Betont wurde, dass viel Vertrauen in die Mitarbeitenden notwendig ist. Führung sei entscheidend, so Wehn. „Resilienz ist eine Fähigkeit, die nicht angeboren ist, sondern antrainiert wird.“ Das verband er mit der Forderung, nach Auslaufen der Homeoffice-Pflicht großflächig in die Büros zurückzukehren. Denn „das Unternehmenskultur-Konto“ müsse wieder „aufgeladen“ werden. Das gehe nur in persönlicher Anwesenheit. Gleichwohl plädierte insbesondere Niebler für eine hohe Flexibilität der Unternehmen. Nach Erkenntnissen seines Verbands dürfte künftig mit durchschnittlich drei Tagen pro Arbeitswoche gerechnet werden, an denen Mitarbeitende mobil – in der Regel also von zuhause – arbeiten werden.

Versicherer sollen Informationen liefern

Nachhaltigkeit war im dritten Plenum das große Thema. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), mahnte aussagekräftige „ORSA-Berichte“ der Versicherer an. Außerdem müssten sich die Unternehmen darauf einstellen, angesichts der vielen, noch offenen Detailfragen zur Definition von Nachhaltigkeit auch „kurzfristig reagieren“ zu können.

Ein Hauptproblem machte Jörg Asmussen für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bei der fehlenden Verfügbarkeit geeigneter Kapitalanlagen aus. Bisher sei nur ein Prozent der Kapitalanlagen der Versicherer nachhaltig, davon wiederum 70 Prozent als grüne und 30 Prozent als sozial nachhaltige Anlagen.

„Wir würden gerne mehr tun“, so Asmussen, beklagte aber fehlende Standards und fehlendes Angebot. Es gebe nicht einmal einen Standard für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks, so Gabriele Recke, Leiterin Nachhaltigkeit bei der Allianz Lebensversicherung. „Es gibt keine fertigen Methoden.“ Gleichzeitig plädierte Recke dafür, sich nicht auf eine Position zurückzuziehen, dass erst die Regulatorik fertig sein müsse. Vielmehr sollten die Versicherer sich auch trotz eines Risikos späterer Greenwashing-Vorwürfe zumindest auf den Weg machen. Und das sollten sie auch nicht jeder für sich und im Wettbewerb gegeneinander tun: „Alleine kann niemand die Welt retten.“

Solardach auf Privathaus kein sinnvolles Investment

In der Diskussion kam die Frage auf, ob eine nachfrageinduzierte Blase bei nachhaltigen Anlagen zu befürchten ist. Hier äußerten sich die Referenten zurückhaltend. Grund jedenfalls warnte davor, die Risiko-Betrachtung zu verlassen. Er zeigte sich außerdem skeptisch, ob nachhaltige Anlagen regulatorisch bevorzugt werden sollten, zum Beispiel durch geringere Eigenkapital-Anforderungen. Gerade der GDV würde sich hier Bewegung wünschen, denn „Versicherer sind prädestiniert, in die Energiewende zu investieren“, so Asmussen. Das setze aber auch die Verfügbarkeit entsprechender Investmentmöglichkeiten und ausreichender Los-Größen voraus – Versicherer könnten nicht kleinteilig in das Solardach „des Herrn Müller oder der Frau Meier“ investieren.

Recke verdeutlichte weiter, dass es beim Thema Nachhaltigkeit zwei mögliche Ansätze gibt: den Risiko- und den Impact-Ansatz. Der Risiko-Ansatz bedeutet, dass bestimmte Nachhaltigkeitsrisiken vermieden werden. Der Impact-Ansatz dagegen will bestimmte, positive Veränderungen erreichen. Außerdem wies sie darauf hin, dass ohnehin nicht über die in Deutschland besonders bedeutsamen Sicherungsvermögen, sondern über Fondsanlagen gesprochen werde. Nur dort besteht überhaupt ein Wahlrecht der Kunden.

Kunde muss beim Vertrieb von Anlageprodukten zur Nachhaltigkeit beraten werden

Für die Vermittler hatte Grund allerdings nur eine Botschaft parat: Sie sollten und müssten ab 2. August 2022 den Kunden nur das zeigen, „was schon da ist“. Das dürfte den Betroffenen allerdings wenig helfen, wenn sie bei einer pflichtgemäßen Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen mit konkreten Vorstellungen der Kunden konfrontiert werden. Mit einer Verschiebung des 2. Augusts dürfen die Vermittler nach Grunds Einschätzung nicht rechnen – ab dann ist die IDD-Verordnung 2017/2359 in der erweiterten Form anzuwenden und der Kunde beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten zur Nachhaltigkeit zu beraten.

Autor(en): Matthias Beenken

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