Pflege der Zukunft: Weniger Apps, mehr Zuwendung

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Technik vor Zuwendung, Apps contra Anerkennung, Computer versus Respekt. Sieht so die deutsche Pflegesituation der Zukunft aus? Wie einer Technisierung der Pflege entgegengesteuert werden kann und was die Pflegeversicherung wirklich voranbringt, vermittelte das 14. Continentale PKV-Forum in Köln.



(Auf dem Podium von links nach rechts: Professor Dr. Wasem, Dr. Ralf Suhr, Die Continentale, Professor Dr. Richard David Precht, Ulrich Dietz, Helmut Posch, Vorstandsvorsitzender Die Continentale)

Die Struktur der Pflege in Deutschland wird sich künftig verändern. Davon ist Ulrich Dietz, Leiter des Referats Grundsatzfragen der Pflegeversicherung im Bundesministerium für Gesundheit, überzeugt. Der Grund: Da die Menschen immer stärker beruflich eingebunden sind, können sie immer weniger die Pflege ihrer Eltern übernehmen. So besteht seiner Ansicht die Gefahr, dass sich das augenblickliche Verhältnis von 70 Prozent familiär geleisteter Pflege und 30 Prozent in stationären Einrichtungen gebotener Pflege verschiebt. Und dies bei einer steigenden Zahl an Pflegebedürftigen und Haushalten, in denen nur ein Kind – oft aus der Generation der Babyboomer - die Pflegeleistung stemmen muss.

Regierung setzt auf die Gesellschaft und mehr Nachbarschaftshilfe
Doch eine derartige Verschiebung könne sich die Gesellschaft nicht leisten, die Wirtschaftskraft besäße Deutschland (in Zukunft) nicht. Aus diesem Grund müssten die niedrigschwelligen Angebote ausgeweitet werden, dazu gehörten, dass mehr lokale Vorsorgeeinrichtungen entstehen sollen, mehr ambulante Dienstleistungen angeboten werden können und der Fokus stärker auf bezahlter Nachbarschaftshilfe gelegt werden müsste.
Noch im September solle eine Anhörung im Bundestag stattfinden, die sich mit der Frage beschäftigen werde, ob auch Menschen, die sich in ihrer Gemeinde um hilfsbedürftige und einsame Menschen kümmern wollen, auch die so genannten ambulanten Pflegesachleistungen zugesprochen werden können.
Zudem müsse künftig die Steuerung der Pflegeversorgung verbessert und die Sektoren „Pflege“ und „Medizin“ stärker verknüpft werden.

Problem „Demenz“ stärker berücksichtigen

Die Bundesregierung würde für diese notwenigen Veränderungen augenblicklich die Weichen stellen. So würden das Pflegestärkungsgesetz I und II, das rund fünf Milliarden Euro in die Pflege pumpen solle, das Problem der Demenz stärker berücksichtigen und das geplante Pflegeberufegesetz den Pflegeberuf attraktiver machen sowie für eine höhere Qualifikation der Pflegekräfte sorgen.
O-Ton Dietz: “Das Thema Pflege und Pflegeversicherung ist kompliziert. Aber wir können das Problem nur mit Hilfe der Gesellschaft lösen. Und wir brauchen Zeit, um die notwenigen Strukturen aufzubauen“.

Müssen künftig mehr Geld in die Hand nehmen

Weitaus unzufriedener mit dem (politischen) Umsetzungswillen und der Umsetzungsdynamik zeigte sich Professor Dr. Jürgen Wasem, unter anderem Professor für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen, denn er beklagte: „Wir sind zu zögerlich. Es wird der Gesellschaft sicher weh tun, aber wir müssen künftig mehr Geld in die Hand nehmen. Und wir müssen mehr Mut haben, innovative Lösungen zu entwickeln“. Diesen Appell richtete er an die Versicherungswirtschaft, Politik und Verbraucher. Vor allem beschwor er aber die Bürger, sich rechtzeitig privat gegen das Pflegerisiko abzusichern.
Dies sei gut möglich, denn die Versicherungsbranche böte ausreichend Pflegeprodukte und -dienstleistungen für diese Situation an. Nicht unterstreichen wollte er die allgemeine Forderung nach mehr Geld für Pflegeheime. Seine Einschätzung: „Mehr Geld in die Heime zu investieren, bringt nichts. Oft ist ein schlechtes Management und vor allem falsches Zeitmanagement bei der Arbeitseinteilung der Pfleger, der Grund dafür, dass die Situation in Pflegeheimen oft katastrophal ist“.

Technik statt Achtung? Keine Zukunftslösung
Nicht minder kritisch findet Professor Dr. Richard David Precht, Philosoph und Publizist, „die technizistische Perspektive der Altenpflege“. Seines Erachtens besteht ein Trend, die Versorgung von Pflegebedürftigen nur noch via Technik lösen zu wollen. „Eine Erleichterung der Arbeit mittels Technik ist sicher grundsätzlich nicht falsch. Doch wir haben Alter und Pflege exterritorialisiert. Für alles sollen Apps die Lösung sein. Doch Apps passen nicht zu dem Wunsch - auch alterer - Menschen nach Anerkennung. Technik statt Achtung? Das kann nicht der Weg sein.“



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Bildquelle: Meris Neininger

Autor(en): Meris Neininger

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