PKV-Studie: Zwei-Klassen-Medizin weltweit verbreitet

Egal, wie Gesundheitssysteme organisiert werden, immer kommt es zu einer Zwei-Klassen-Medizin. Das ist das Fazit einer länderübergreifenden Studie des wissenschaftlichen Instituts der privaten Krankenversicherer (PKV), die jetzt veröffentlicht wurde. Die Daten sollen der PKV in der Diskussion um die Einführung einer Bürgerversicherung Schützenhilfe leisten. Die Opposition möchte das derzeitige duale System abschaffen. Damit bliebe der PKV nur noch der wenig lukrative Markt der Zusatzversicherungen offen.

Schmiergeld für Behandlung
Laut der aktuellen PKV-Studie würden einheitlich organisierte Gesundheitssysteme zu deutlich mehr Ungerechtigkeit führen, als es derzeit in Deutschland gebe. Der Ländervergleich zeigt starke Versorgungsunterschiede auf. So wird der Zugang zu medizinischen Leistungen in vielen Staaten so streng rationiert, dass Kranke zur Behandlung ins Ausland ausweichen oder Leistungen privat hinzukaufen müssen. Teilweise sind sogar Schmiergeldzahlungen notwendig, um schnell und umfassend versorgt zu werden. Solche illegalen Zahlungen an Ärzte und Krankenhäuser würde es in Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Österreich, Polen, Slowenien, der Tschechischen Republik und Zypern geben. Grund sei in einigen Staaten die durch die Finanzkrise stark angeschlagene medizinische Infrastruktur.

So müssten in Griechenland Verwandte der Patienten sogar selbst den Gips kaufen, damit die Ärzte gebrochene Arme und Beine behandeln können. Und manche Kliniken führten keine kardiologischen Untersuchungen mehr durch, weil kein Geld für den Kauf von Stents da sei. In Spanien seien Doppelreihen mit belegten Betten in den Fluren der Krankenhäuser keine Seltenheit mehr. Um der mangelhaften medizinischen Versorgung im eigenen Land zu entgehen, ist die Bereitschaft vielen Bürger für eine Behandlung im Ausland gestiegen. Dies gilt etwa für Betroffene in Zypern, Dänemark, Niederlande, Spanien, Italien oder Großbritannien. Grund sind strenge Rationierungsmaßnahmen. So ist die Wahlfreiheit der Patienten eingeschränkt, der Leistungskatalog begrenzt und es gibt lange Wartezeiten sowie obligatorische Zuzahlungen.

Millionen auf Warteliste
Wartezeiten stellten vor allem im überregionalen staatlichen Gesundheitssystem Großbritanniens ein großes Problem dar. So standen allein im Herbst 2012 rund 5,5 Millionen Briten auf einer Warteliste. Im Schnitt dauerte die Wartezeit von der Überweisung des Hausarztes bis zur stationären Behandlung 8,5 Wochen. In Irland gab es in 36 der 42 Krankenhäuser Wartezeiten von über neun Monaten.

Zudem verschlechtert sich in vielen Staaten die Situation für Patienten immer stärker. So mussten in Kanada 2009 rund 466.000 Patienten länger als drei Monate auf einen Facharzttermin warten. 2011 waren es dann schon rund 523.000 Kranke betroffen. In strukturschwächeren kanadischen Provinzen müssen Patienten schon mal bis zu 1,5 Jahre auf den Einsatz einer neuen Hüfte warten, während in den Niederlande dichtbesiedelte Großstädte problematisch sind. Beispielsweise haben Patienten im August 2012 in einer Amsterdamer Klinik 28 Wochen auf den Einsatz einer Hüftprothese gewartet. In Australien - hier warteten im vergangen Jahr zwölf Prozent der Patienten länger als ein Jahr auf ein neues Kniegelenk - sind zudem fast 7.000 Patienten von der Warteliste mit der Bemerkung "nicht erreichbar/verstorben" gestrichen worden.

In Sachen Wartezeit erreicht Deutschland laut der WIP-Studie einen positiven Spitzenplatz. Die Verhältnisse seien hier deutlich besser. Nur 22 Prozent der gesetzlich Versicherte müssen mehrere Wochen auf einen Arzttermin warten. Das zeigt eine Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Trotzdem gilt auch hier ein Zwei-Klassen-Recht, denn bei Privatversicherten müssen nur vier Prozent länger als drei Wochen warten

Die kürzeren Wartezeiten für Privatpatienten sind höherer "Komfort" und kein Zeichen einer Versorgungskrise, meint die private Krankenversicherungslobby, die aus der Zielrichtung ihrer Studie keinen Hehl macht. So zeige die Untersuchung, dass die Einheitssysteme dem dualen System in Deutschland unterlegen seien. "Denn gerade Patienten mit niedrigeren Einkommen, die auf die staatlich definierte Grundversorgung angewiesen sind, müssen sich mit schlechteren Leistungen als in Deutschland begnügen." So kann in den steuerfinanzierten Einheitssystemen Dänemark, Finnland, Spanien und Portugal weder der Hausarzt noch der Facharzt vom Patienten selbst ausgesucht werden. In den Niederlanden sind in einigen niederländischen Gegenden so wenige Hausärzte tätig, dass Patienten Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Arzt zu finden, bei dem sie sich registrieren können. Hier gibt es zudem nur ein marginales Basispaket medizinisch notweniger Leistungen. In vielen Ländern müssen sich die Patienten an den Kosten der hausärztlichen oder fachärztlichen Behandlung beteiligen. In Deutschland gilt das mit zehn Euro pro Tag nur für Krankenhausaufenthalte.

Da viele Patienten in anderen Staaten eine optimale Versorgung aus der eigenen Tasche zahlen müssen, haben sich, wie in Großbritannien, gut ausgebaute private Gesundheitssektoren parallel zum öffentlichen Sektor entwickelt. Oder die Bürger müssen, wie in den Niederlande, vorrangig eine Behandlung im Ausland wahrnehmen, weil es keine entsprechende Zusatzversicherung gibt. Eine ähnliche Zwei-Klasse-Medizin drohe daher, wenn die von SPD, Grünen oder der Linkspartei favorisierte Bürgerversicherung in Deutschland Realität werde.

Rationierung politisch einfacher
Skeptisch beurteilt der Gesundheitsexperte Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen solche Aussagen. Sie würden nicht grundsätzlich gegen eine Abschaffung des dualen Systems in Deutschland sprechen. "Ich halte die Schlussfolgerung, dass einheitliche Spielregeln zu Rationierung führen, für gewagt", so Wasem. Zwar sei der politische Einfluss auf Rationierung in solchen Systemen einfacher. Doch die mit Abstand größte Rationierung liege in den USA vor, also dem eindeutig am wenigsten "einheitliche"“ System, weil dort mehr als 40 Millionen Bürger faktisch keinen Zugang zum Versicherungssystem haben und daher schlecht versorgt werden. Auch in Deutschland gäbe es beim Grundschutz inzwischen einen einheitlichen Leistungskatalog, weil die PKV den Basistarif vorhalten muss. Unterschiedliche Spielregeln zwischen GKV und PKV beschränkten sich nur noch auf die Beitragskalkulation. Die Vorteile könnten aber eben nur von einem Teile der Versicherten für sich nutzbar gemacht werden. Wasem: "Das halte ich nach wie vor für problematisch."




Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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