Was das Urteil des Bundesarbeitsgerichts für die häusliche Pflege bedeutet

740px 535px

Und es ist wieder passiert: Die Justiz legt mit einer Entscheidung den Finger in eine Wunde, die der Bundesregierung wohl bewusst ist, deren Behandlung sie aber vernachlässigt hat.

Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich entschieden, das ausländische Pflegekräfte künftig den Mindestlohn erhalten müssen und dies auch für Bereitschaftszeiten. Dieses Urteil ist eine Schreckensnachricht für Angehörige, die ihre pflegebedürftigen Lieben zu Hause betreuen lassen. In Deutschland werden zwei Drittel der pflegebedürftigen Menschen daheim gepflegt. Ein Großteil der Pflegearbeit wird laut AOK-Pflegereport 2020 von Pflegerinnen und Pflegern aus Mittel- und Osteuropa geleistet, die in den Haushalten leben und häufig sieben Tage die Woche, rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Urteil ist gerechtfertigt

Eine nach Mindestlohn bezahlte 24-Stunden-Kraft müsste rund 9.000 Euro im Monat verdienen. Dies ist für die überwiegende Mehrheit der Angehörigen nicht zu stemmen. Neben einer verbreiteten Skepsis gegenüber der stationären Pflege, die durch immer neue Skandale befeuert wird, sind es die immensen monatlichen Kosten der Pflege in so genannten Seniorenresidenzen, die Angehörige veranlasst, eine polnische oder ukrainische Kraft anzustellen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist gerechtfertigt. Einige, wahrscheinlich viele der Arbeitsverhältnisse von ausländischen Pflegekräften sind ausbeuterisch, auch wenn das die Auftraggeber*innen nicht beabsichtigen, und einer sozialen Marktwirtschaft nicht angemessen. Die richterliche Entscheidung zeigt aber auch, wie prekär das deutsche Pflegesystem aufgestellt ist.

Pflegereform entlastet häusliche Pflege nur wenig

Der demografische Wandel und die mit ihm verbundenen Herausforderungen sind der Bundesregierung schon seit Langem bekannt. Das Problem der wachsenden Zahl von Pflegefällen hat sie bislang auf die Rücken der Familien abgewälzt, wie beispielsweise der Sozialverband VdK kritisiert. Dies wird mit dem Urteil zur häuslichen Pflege nicht mehr möglich sein, zumindest nicht in dem großen Stil, wie wir das bisher erlebt haben.

Die Pflegereform, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Juni 2021 auf den Weg gebracht hat, sieht unter anderem auch vor, dass Pflegebedürftige, die Zuhause betreut werden, ab 2022 finanziell entlastet werden. Die Beträge sind aber nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein: Beispielsweise wird bei bestehendem Pflegegrad 2 das Pflegegeld von 316 Euro monatlich im kommenden Jahr auf 332 Euro erhöht. Bei Pflegegrad 5 beträgt das Pflegegeld statt bisher 901 Euro dann 946 Euro.

Steilvorlage für Vermittler

Pflegende Angehörige brauchen endlich handfeste und zukunftssichere Hilfen und Lösungen bei ihrer schweren Aufgabe. Sonst droht ihr Vertrauen in den Sozialstaat zu erodieren - eine gefährliche Entwicklung. Das heißt konkret, dass die Verantwortlichen, wer immer sie auch nach der Bundestagswahl sein werden, endlich ihre Hausaufgaben machen und das Thema Pflege ganz oben auf die Agenda setzen müssen.

Und für Versicherungsvermittler ist das Urteil eine Steilvorlage. Bekanntlich ist das Thema Pflege ein unbeliebtes Gesprächsthema. Viele Menschen scheuen davor zurück, sich mit Alter, Krankheit und Tod auseinander zu setzen. Hier könnten die Vermittler einen anderen Gesprächseinstieg finden. Ebenfalls ein wichtiger Aspekt: auch heute noch ist der Anteil der Schwarzarbeit im häuslichen Pflegesektor hoch, so Bernhard Edmunds, Mitherausgeber des Buches "Pflegearbeit in Privathaushalten". Das ist künftig äußerst riskant, denn mit einer 24-Stunden-Pflege drohen horrende Nachzahlungen. Eine weitere Lektion, die das Bundesarbeitsgericht der deutschen Gesellschaft mit seinem Urteil erteilt hat, besteht also darin, Eigenvorsorge für den möglichen Pflegefall zu treffen. Vertreter und Makler sind hier die richtigen Ansprechpartner. Und je früher die Vorsorge startet, sprich je jünger die Versicherten sind, desto besser.

Autor(en): Alexa Michopoulos

Zum Themenspecial "Pflege"

 

Alle Branche News