Wer vertraut dem Versicherungsvertreter?

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Um die Reputation des Berufsstands "Versicherungsvertreter" ist es in Deutschland nicht zum Besten bestellt. Allzu häufig gibt der Kunde den Mitgliedern dieser Zunft einen Vorschuss - leider nur einen Misstrauensvorschuss.

Unredliche Vertriebsmethoden, verbunden mit psychologischen Tricks, die teils auch heute noch angewendet werden, gehören zu den Ursachen. Es ist an der Zeit, wieder Vertrauen aufzubauen. Stephan Kober (im Bild) erläutert, welche Fehler Vertreter im Kundengespräch vermeiden sollten und gibt Anregungen, wie es besser geht.

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Fehler: Den Puls des Kunden durch langweilige Gesprächseinstiege bedenklich senken

Wer das Gespräch mit dem Kunden ideenarm startet, sollte nicht damit rechnen, geistreiche Konversationen zu führen. Daher sollte schon der Beginn des Gespräch ehrlich starten und mit Klartext aufwarten.

In der Realität hört sich das aber oft so an (in Klammern finden Sie die ehrliche Version):

  • Verkäufer: "Guten Tag, Herr Kunde, wie geht es Ihnen?" (Guten Tag, Herr Kunde, mir fällt kein anderer interessanter Gesprächseinstieg ein - also nehme ich den, den ich immer nehme.)
  • Kunde: "Guten Tag, Herr Verkäufer, alles bestens, und bei Ihnen?" (Werter Herr "Versicherungsvertreter", diese Standardfrage höre ich von jedem, der mir etwas verkaufen möchte. Warum sollte ich Ihnen mein Seelenleben offenlegen, wenn Sie sich schon keine Gedanken über einen positiv überraschenden Einstieg unseres Gesprächs machen? Also bekommen Sie eine Standardantwort und eine sinnbefreite Gegenfrage ...).

Auch wenn zu Corona-Zeiten die Frage nach dem Befinden sicherlich ab und an ehrlich gemeint war, so führt der inflationäre Gebrauch nahezu automatisch zu oberflächlichen Standardantworten seitens des Kunden. Jene 08/15-Frage ist damit die perfekte Vorbereitung für ein langatmiges Gespräch. Wer mit Plattitüden arbeitet und glaubt, er könne damit Vertrauen aufbauen, glaubt vermutlich auch, dass Windbeutel etwas mit erneuerbaren Energien zu tun haben könnten.

Mein Tipp: Wählen Sie außergewöhnliche Gesprächseinstiege
Probieren Sie zu Beginn eines Gespräches doch mal diese Frage aus: "Sagen Sie, worauf freuen Sie sich in dieser Woche am meisten?" Oder: "Was ist Ihnen in dieser Woche denn beruflich bereits außerordentlich gut gelungen?

Ihr Gegenüber wird zunächst etwas verwundert reagieren, allerdings werden Sie überrascht sein, wie schnell Sie das Gespräch auf eine ganz anderen Ebene der Kommunikation hieven. Natürlich sollten Sie diese außergewöhnliche Frage dem Typus Ihres Gegenübers anpassen: Beim extrovertierten Kunden können Sie schneller mit bemerkenswerten Fragen aufwarten, bei verschlossen-ruhigen Kunden vermeiden Sie eine ablehnende Haltung, wenn Sie der Person etwas Zeit geben, Sie näher kennenzulernen.

Fehler: "Perfekte" Kundenpräsentationen gestalten

Erlauben Sie mir einen Hauch Ironie: Stellen Sie in Kundenpräsentationen ausschließlich die grandiosen Vorteile Ihres Produkts oder Ihrer Lösung dar. Verwenden Sie unzählige Stunden darauf, in Power Point jede Animation perfekt zu positionieren. Beschreiben Sie Ihre Argumente auf jeder Power Point-Folie mit ausreichend Fließtext, den Sie dann im Kundentermin bei der Präsentation Wort für Wort vorlesen. Loben Sie sich und Ihre Versicherungsleistungen in den Himmel, stellen Sie dar, dass bisher bei all Ihren Kunden jeder Vertrag einwandfrei vonstattengegangen ist. Lassen Sie keinen Zweifel daran, dass Ihr Versicherungsunternehmen fehlerfrei ist! Ihr Motto sollte lauten: "Fehler machen nur die anderen, wir sind perfekt!" Dieses Bild muss um jeden Preis aufrechterhalten werden, denn das hat bisher immer gut funktioniert.

Mein Tipp dazu: Unperfekt ist besser
Die Vorteile der eigenen Versicherung herauszustellen - wem könnte man dies verübeln. Um Vertrauen aufzubauen, reicht es jedoch nicht aus, nur das Positive des eigenen Angebots herauszustellen, denn bekanntermaßen hat alles im Leben seine zwei Seiten - also zeigen wir sie auch offen.

Fehler: Mängel verschweigen

Jeder mündige Kunde weiß, dass Fehler passieren - überall. Gerade weil in der Vergangenheit Marketing und Vertrieb diesbezüglich nicht mit der notwendigen Offenheit kommuniziert haben, ist der bereits erwähnte Grad an Misstrauen auf der Kundenseite entstanden. Sagen Sie, was gut, aber auf jeden Fall auch, was beispielsweise in einem Versicherungsfall auch schon einmal unerwartet schlecht gelaufen ist - und was Sie daraus gelernt haben.

Mein Tipp: Überzeugen Sie den Kunden mit seinen eigenen Annahmen
Vergessen Sie die perfekt animierte Power Point-Präsentation, die nur als Buchstabengrab bezeichnet werden kann, sondern trainieren Sie, Zeichnungen auf Flipcharts anzufertigen. Trainieren Sie, Amortisationsrechnungen am Flipchart ad hoc mit den Zahlen des Kunden zu skizzieren und zu berechnen. Es geht, man muss es nur üben!

Der Effekt? In vielen Fällen fällt dem Kunden nach so einer Darbietung kein Grund mehr ein, nicht bei Ihnen abzuschließen - denn Sie überzeugen ihn mit seinen eigenen Annahmen.

Fehler: "Perfekte" Menschen in einer "perfekten" Welt darstellen

Und noch eine Handvoll Ironie: Achten Sie in Ihrer Online- und Offline-Kommunikation mit dem Kunden darauf, dass ausschließlich schöne, gut gestylte, blendend gelaunte Menschen zu sehen sind. Alle müssen in bester Pose in die Kamera strahlen, extraweiße Zähne sind von Vorteil! Geben Sie exorbitante Beträge für die Nachbearbeitung und Darstellung von Fotos aus, damit alles möglichst perfekt erscheint. Der Kunde erwartet zu 100 Prozent einwandfreies Bildmaterial und möchte die Referenz-Versicherungskunden ausschließlich von der besten Seite sehen.

Mein Tipp: "Echt" bringt mehr (Vertrauen)
Was ist Ihnen lieber: Das mit Botox vergiftete Model vom Catwalk, das sich zwei Stunden lang in der Maske befindet, um dieselbige als Make-up auf dem Gesicht zu tragen? Das wegen der langen Fingernägel nicht mehr in der Lage ist, sich die falschen Wimpern selbst anzukleben? Oder das natürliche Mädchen, das Ihnen glücklich und nur minimal geschminkt gegenübersteht?

Die Antwort derjenigen mit gesundem Menschenverstand fällt immer auf die zweite Person. In Bezug auf die Außendarstellung des Versicherungsunternehmens wird jedoch oft im Gegensatz dazu auf die erste Variante gesetzt, und zwar online, leider jedoch häufig auch im direkten Kundengespräch. Aktiver Aufbau von Glaubwürdigkeit sieht anders aus!

Das bedeutet für Sie: Verwenden Sie beispielsweise in Prospekten oder im Rahmen Ihrer Internetpräsenz Bilder von realen Kundensituationen, in denen zum Beispiel Ihre Versicherung zum Einsatz kam - Brand, Unfall etc. Vermeiden Sie gestellte Szenarien, zeigen Sie wahre Begebenheiten und berichten Sie konkret, wie Sie dem Kunden geholfen haben.

 

Über den Autor

Stephan Kober ist Experte für den B2B-Vertrieb, Vortragsredner, Autor und Trainer. Sein Buch "Klartext im Vertrieb. Wie Sie mit entwaffnender Ehrlichkeit Vertrauen aufbauen und Kunden gewinnen" ist bei Springer Gabler erschienen. Als Silber-Preisträger des Europäischen Preises für Training, Beratung und Coaching 2015/2016 (BDVT) kombiniert er zwei Jahrzehnte B2B-Vertriebserfahrung mit einem MBA-Abschluss an einer renommierten englischen Universität.
Kontakt: www.koberaktiviert.de, sk@koberaktiviert.de

cover Klartext im Vertrieb

Autor(en): Stephan Kober

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