Wie ein Pandemierisiko doch zu versichern sein könnte

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Die Betriebsschließungsversicherung (BSV) war bis 2020 nicht das heiße Thema. Erst im vergangenen Jahr ist sie ins Blickfeld geraten. Auch wie die Versicherer mit ihr umgehen, wird heftig diskutiert. Das sollte anders werden. Das findet jedenfalls die Beratungsgesellschaft MSK und hat auch gleich einen Vorschlag parat.

Andreas Meyertholde entschuldigt sich gleich zu Beginn seiner Präsentation zum Thema „Betriebsschließung“: „Ich habe es leider nicht mehr zum Frisör geschafft.“ Natürlich hätte sein Frisörsalon aktuell geschlossen und er sich eben nicht wie manch ein Fußballstar schnell unter der Hand einen Haarschneidetermin verschaffen können. So seien eben seine Haare nicht wirklich in Form. Sorry.

Leider keinen Termin mehr beim Frisör bekommen

Der Geschäftsführer der Meyerthole Siems Kohlruss (MSK), einer Gesellschaft für aktuarielle Beratung mbH aus Köln, geht in seinem Vortrag ein aktuell schwieriges Thema leicht und mit Humor an. Kommt dann aber schnell auf die harten Fakten und die momentane Situation zu sprechen.  

Versicherungswirtschaft und Versicherungsnehmer streiten sich seit dem ersten Shutdown heftig über das Thema „Leistungspflicht bei Allgemeinverfügung“. Das hat schon zu ersten Reaktionen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geführt. So gibt es seit Kurzem neue BSV-Musterbedingungen des GDV mit einem klareren Pandemie-Ausschluss.
Doch die Frage, ob das Pandemierisiko versicherbar ist, bleibt weiterhin unbeantwortet, ist jedenfalls nicht eindeutig geklärt. Dieses Problem hätte schon seine Wurzeln bei der Definition von „Versicherbarkeit“. Diese sei nicht „sauber“ definiert. Selbst ein Blick in die Bücher des großen Versicherungsmeisters Dieter Farny würden nicht wirklich weiterhelfen.

Oftmals Ausgleich im Kollektiv UND der Zeit gefordert

In der Literatur im Allgemeinen würde häufig der Ausgleich im Kollektiv UND der Zeit gefordert. „Ein Ausgleich im Kollektiv ist in dieser Pandemie sicher NICHT erfüllt. Und der Ausgleich in der Zeit ist zwar erfüllt, aber Wiederkehrperioden sind unbekannt.“ Diese zu bestimmen sei auch bei Sturmereignissen nicht wirklich möglich, diese könne man auch nur schätzen. Darum seine Schlussfolgerung: „Es ist sinnvoll nach Versicherungslösungen zu suchen.“

Und er konkretisiert seinen Vergleich zwischen den Versicherungsgefahren „Pandemie“ und „Sturm“ noch weiter: Während bei der Gefahr Sturm ein 100-Jahres-Ereignis etwas mehr als das Prämienvolumen eines Jahres aufwiege, könne es bei der (aktuellen) Pandemie das Volumen von bis zu 100 Jahren betragen. Das Problem dabei sei die hohe Groß- beziehungsweise Kumulschadenneigung einer Pandemie Eine weitere Vergleichsgröße ist für den Aktuar das Cyber-Risiko. Das Kumulpotenzial von Cyber verortet er „irgendwo zwischen Sturm und Pandemierisiko.

Mögliche Problemlöser: Diversifikation oder Limitierung der Kumulhaftung

Aber wie können die Versicherer nun das Pandemierisiko tragen und/oder welche Techniken könnten eingesetzt werden, um das Risiko zu mindern? Erster möglicher Ansatz: Diversifikation, zweiter möglicher Ansatz: eine Limitierung der Kumulhaftung. Bei letztgenanntem Ansatz sieht die Idee der Aktuare so aus: Die Gesamthaftung wird auf zum Beispiel 20 Prozent des maximalen Kumuls limitiert. Im Schadenfall erfolgt dann von 20 Prozent der verbleibenden Schadenhöhe eine Soforthilfe. Und falls maximales Kumul nicht ausgeschöpft wird, sollte zum Jahresende eine weitere Erstattung möglich sein. Das diesbezügliche Limit könnte jährlich neu festgelegt werden.

Essenziell bei dieser Idee sei aber die transparente Kommunikation gegenüber dem Versicherungsnehmer. Denn es dürfe nicht so laufen wie bei dem insolventen Reiseveranstalter "Thomas Cook". Dort sei die Reisepreisabsicherung limitiert gewesen. Gegenüber den Kunden sei dies nicht kommuniziert worden und viele Urlauber wären so nach dessen Insolvenz auf ihren Kosten sitzengeblieben.  

"Kleine Lösung ist besser als keine Lösung"

Meyertholdes nüchternes Fazit am Ende lautet: „Das Pandemierisiko in der BSV ist eingeschränkt versicherbar.“  Und er plädiert für einen Kompromiss: „Eine kleine Lösung ist besser als keine Lösung.“ Die Vorschläge seines Hauses seien zwar noch nicht praxiserprobt und erst einmal nur auf der grünen Wiese entstanden, sie böten aber eine gute Ausgangsbasis, um das Thema weiter zu diskutieren und weitere Parteien an dem Vorhaben zu beteiligen.

Dafür solle man auf jeden Fall den Risikoausgleich in der Zeit nutzen und über Bilanzierungshilfen, wie erweiterte Möglichkeiten zur Bildung von Schwankungsrückstellungen, nachdenken. Nicht zu vernachlässigen sei auch das Thema Solvency II. Denn die Risikotragfähigkeit der Versicherer unter Solvency II werde ohne drastische Beitragsanpassungen nicht ausreichen.

Bei einem Spezialversicherer gingen Diversifikationseffekte verloren

Dagegen sieht er eine Pflichtversicherung oder Gründung eines Spezialversicherers aus aktuarieller Sicht als nicht sinnvoll an. Die Gründe: Bei der Pflichtversicherung sei vorab zu klären, wer überhaupt schutzwürdig sei. Eine derartige Versicherung bedeute zudem einen Eingriff in die Vertragsfreiheit, auch wirklich risikogerechte Beiträge zu erheben, sei problematisch. Und bei einem Spezialversicherer gingen Diversifikationseffekte verloren.

Kritische Stimmen, dass die Anbieter von Betriebsschließungsversicherungen in der aktuellen Lage und gegenüber ihren Kunden versagt hätten, möchte der Versicherungsmathematiker nicht gelten lassen. Er glaubt nur, „dass die Versicherungsunternehmen diese Pandemie nicht auf dem Schirm gehabt haben“. Dies sei auch nicht zu verlangen, ein derartiges Ausmaß hätte niemand voraussehen können.

Autor(en): Meris Neininger

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