Wie sich der Ukraine-Krieg auf die Versicherer auswirkt

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Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist keineswegs nur ein Thema für die Transportversicherung, wurde auf einer Veranstaltung der Forschungsstelle für Versicherungswesen der Universität Münster deutlich.

Versicherungsverträge sehen üblicherweise einen Ausschluss des Risikos Krieg vor, so Jens Jaeger vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Allerdings traut sich die Transportversicherung in bestimmten Fällen zu, Kriegsschäden doch zu versichern.

Risikoprämien sind meist zu hoch

So gelten nach Jaegers Ausführungen zumindest Warentransporte per Schiff oder per Flugzeug unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann als versicherbar, wenn diese in ein Kriegsgebiet führen. Das setze aber „eine spezielle Expertise“ des Versicherers voraus, zudem müssten Kunden mit sehr kurzfristigen Sonderkündigungsrechten leben. Außerdem könne die Risikoprämie so hoch sein, dass sich viele Transporte allein wirtschaftlich nicht mehr rechnen. Als Beispiel nannte er eine Größe von zehn Prozent der Versicherungssumme für eine Schiffsfahrt derzeit in die Hoheitsgewässer der Ukraine.

Nach Kenntnis des GDV haben allerdings die Versicherer ihre Kriegsdeckungen in der Regel schon Tage vor dem Angriff Russlands gekündigt. Man wisse aber noch nicht, ob das rechtzeitig genug war. Jedenfalls scheint das Risikomanagement der Versicherer früher als dasjenige der Politik erkannt zu haben, dass Russland mehr als nur Drohgebärden mit dem monatelangen Aufmarsch seiner Truppen an der ukrainischen Grenze beabsichtigt, merkte Veranstaltungsleiterin Professorin Petra Pohlmann an.

Zahlreiche Sanktionsverordnungen beachten

Neben der eigenen Risikoeinschätzung müssen sich Versicherer aber auch sehr genau mit den Sanktionen auseinandersetzen, die beispielsweise die Europäische Union gegen Russland und verbündete Staaten erlassen hat, so Philipp Koch, Rechtsanwalt der Kanzlei Noerr. Denn auch Versicherungsschutz spielt eine wichtige Rolle, wenn Sanktionen nicht zum Beispiel durch Exporte über mit der Kriegspartei befreundete Länder unterlaufen werden sollen, hob er hervor.

Das Sanktionspaket der Europäischen Union besteht aus mittlerweile 97 Einzelverordnungen, die Personen, Sektoren oder Finanztransaktionen betreffen können. Solche Verordnungen werden situativ und oft kurzfristig erlassen, wenn auch es bestimmte grundlegende „Basis-Rechtsakte“ gibt, aus denen sich weitere Verordnungen ableiten lassen.

Das sei jedoch nur schwer zu überblicken. Wertvoll sei deshalb eine Internetseite der EU-Kommission, auf der es aktuelle Überblicke über alle gegen bestimmte Länder erlassenen Sanktionen gibt. Zudem helfen FAQ-Listen, Transparenz über den Umgang mit den von der Europäischen Union erlassenen Maßnahmen zu schaffen.

Inflation und Zins beeinflussen Bilanzen

Der Ukraine-Krieg hat aber auch eine ganze Reihe Folgen für die Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen der Versicherungsunternehmen, führte Ulrich Scholten aus, Vorstandsmitglied der Provinzial und dort für Finanzen und Risikomanagement verantwortlich. Das systematisierte er folgendermaßen: Der Krieg treibt die Inflation an, die sich wiederum in einer Erhöhung der Schadenaufwände und Schadenrückstellungen sowie der Regulierungskosten niederschlägt.

Mit der Inflation eng zusammen hängen die Zinsen, die ebenfalls in die Höhe gehen. Das führt zu einer Neubewertung von Pensionsrückstellungen, aber auch der Eigenmittel und der Solvenz. Die Hebelwirkung ist enorm, wie er an Rechenbeispielen zeigte.

Dann gibt es generelle Auswirkungen auf die Kapitalmärkte und dort auf die Bewertung von Anleihen, Aktien und sonstigen Assets in den Versichererbilanzen. Hinzu kommen Auswirkungen auf die Konjunktur. Von höchstem Interesse für die Versicherer bleibt aber vor allem der Marktzins.

Bewertungsreserven verschwinden

So stimmte er das Auditorium darauf ein, dass beispielsweise die Lebensversicherer im Durchschnitt demnächst keine Bewertungsreserven, sondern Bewertungslasten ausweisen werden. „Aber das muss uns nicht beunruhigen“, erläuterte er, denn dafür sinken auch die bewerteten Verpflichtungen in der Bilanz.

Erstmals nach Jahren würde es beispielsweise Entnahmen statt Zuführungen zur Zinszusatzreserve geben. Auch der sogenannte Duration-Gap, also der Unterschied zwischen dem Anlagehorizont auf der Aktivseite und der Dauer der Verbindlichkeiten auf der Passivseite, könnte sich leicht reduzieren. Insgesamt erwartet Scholten keine Rückgänge bei den Solvenzquoten. Die Versicherer kämen insgesamt gut durch die Krise.

Neubewertung der Nachhaltigkeitsstrategie?

Allerdings müssen sich die Versicherungskunden in der Kompositversicherung auf deutlich steigende Prämien einstellen. Am Beispiel des Baupreisindexes zeigte er, wie die Anpassungsmechanismen in den Versicherungsverträgen zwar den Kunden helfen, die Baupreissteigerungen im Schadensfall auszugleichen, das aber letztlich spürbare Mehrausgaben zum Beispiel für die Gebäudeversicherung bedeutet.

Ob die Versicherer auch ihre Nachhaltigkeitsstrategien anpassen, weil der Ukraine-Krieg eine Neubewertung von Investitionen zum Beispiel in Hersteller für Kriegswaffen oder in die Sicherstellung der Energieversorgung erforderlich machen kann, ist noch nicht abzusehen. Scholten bestätigte für sein Unternehmen, dass dies geprüft wird, aber die Überlegungen noch nicht abgeschlossen seien. Allerdings habe man beispielsweise beim Thema Kriegswaffen ohnehin bisher einen Ausschluss nur für solche Hersteller erklärt, die geächtete Kriegswaffen und Munition herstellen.

Autor(en): Matthias Beenken

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