Wieder heftiger Streit um "neues" Oehler-Gutachen

Unter dem Titel "Mehr als 50 Milliarden Euro Schäden jährlich bei Altersvorsorge und Verbraucherfinanzen" hat Professor Andreas Oehler von der Universität Bamberg alte Untersuchungsergebnisse neu zusammengefasst und Ende 2012 veröffentlicht. Damit erzielte der Wissenschaftler, der dem Verwaltungsrat der Stiftung Warentest vorsteht, wie schon 2011 ein enormes Medienecho.

So titelte etwa das Hamburger Abendblatt: „Verbraucher verlieren offenbar Milliarden bei Altersvorsorge“, während der Kölner Stadtanzeiger sogar feststellte, dass „Verbraucher um Milliarden geprellt“ würden. Grund für diese Headlines sind die Behauptungen Oehlers, dass durch den grauen Kapitalmarkt Verbrauchern jährlich Verluste von 30 Milliarden Euro entstehen und durch „fehlgeleitete Abschlüsse“ von Lebens- und Rentenversicherungen Schäden von 16 Milliarden Euro pro Jahr auftreten würden. Dabei verweist der Wissenschaftler darauf, dass seine Analysen eher „konservativ“ sind.

Kritiker: Falsche Zahlen – unhaltbare Analyse
Für vorzeitig aufgekündigte Lebensversicherungen schätzt der Wissenschaftler einen durchschnittlichen Verlust von 4200 Euro. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) liegt aber die einkalkulierte Abschlussprovision der zugrundegelegten Musterpolice „branchenüblich“ bei nur 1.200 Euro. Verluste sind laut GDV zudem nur bei Kündigungen in den ersten Vertragsjahren zu erwarten. Daher qualifiziert die Versicherungslobby die Zahlen schlicht als „falsch“. Scheinbar basiert das Gutachten, das "Die Grünen" in Auftrag gegeben haben, weitgehend auf alten Daten. Bereits die Basisstudie von 2011 hatte harsche Kritik erfahren. So kommentierten Professor Oskar Goecke und Professor Jürgen Strobel vom Institut für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln: „Die Studie von Oehler kann aus unserer Sicht nicht für sich in Anspruch nehmen, wissenschaftlich fundiert zu sein. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass durch die plakative Zuspitzung „Milliardenschäden durch fehlgeleitet Abschlüsse“ vor allem öffentlichkeitswirksam agiert wurde.“ Diese Kritik dürfte wohl auch für die neue Veröffentlichung gelten.

Verfahren bereits als unangemessen kritisiert
Auch wenn einzelne Berechnungsdaten leicht modifiziert wurden, ermittelt Oehler die Verluste bei der Altersvorsorge wiederum aus einem Vergleich einer Anlage in Bundeswertpapiere und eines stornierten Lebensversicherungsvertrages. Dieses Verfahren hatten die Wissenschaftler der FH Köln bereits in der Vergangenheit als unangemessen kritisiert. Für eine angemessene Vergleichsrechnung müsse die Option berücksichtigt werden, dass Lebensversicherungsverträge jederzeit mit einem Anspruch auf Rückzahlung gekündigt werden können. Als Referenzanlage könne daher nur eine Anlage mit maximal einjähriger Laufzeit gelten. Zudem sind die verwendeten Stornoquoten laut GDV zu hoch. Hinsichtlich der Schäden der Verbraucher durch den grauen Kapitalmarkt beruft sich Oehler auf eine Analyse der Stiftung Warentest aus dem Jahre 2011. Eine Untersuchung hat die Stiftung Warentest aber zu diesen Verlusten anscheinend gar nicht erstellt. Im Originaltext heißt es lediglich: „Jedes Jahr verlieren Anleger nach Schätzungen von Finanzexperten etwa 30 Milliarden Euro durch dubiose Kapitalanlagen.“

Staatliche subventionierte Beratung gefordert
Alle Schäden resultieren nach Ansicht des Wissenschaftlers aus einer fehlerhaften Beratung. Einzelne Produkte könnten aber nicht verboten werden. So heißt es in der Veröffentlichung: „Es gibt im Finanzbereich aber nicht DEN Kunden und DAS Produkt und daher auch keine einfache „Ampel“ für alle und für alles.“ Hier grenzt sich Oehler von Verbraucherschützer, vor allem der Verbraucherzentrale Hamburg ab, die eine solche Ampel für Finanzprodukte vorgestellt hatten, bei der beispielsweise Versicherung ganz schlecht abschneiden. Oehler fordert hingegen, dass private Vermittler künftig für die „Geeignetheit der Produkt für die Kundensituationen“ während der gesamten Laufzeit haften und die Vermittler im Streitfall diese Geeignetheit beweisen müssen.

Außerdem sollen die Kunden in Euro konkret ablesen können, welches „Schadenrisiko“ sie haben, wenn sie vorzeitig aus dem Vertrag aussteigen. Die Beratung soll „praxisorientiert“ und „standardisiert“ werden. Alle Vertriebs- und Verwaltungskosten sollen über die gesamte Laufzeit eines Vorsorgevertrages verteilt werden. Einbeziehen will Oehler hier auch die Auszahlungsphase. Zudem soll eine solche Verteilung für Beratungshonorare gelten. Einer reinen Stärkung der Honorarberatung erteilt Oehler eine Absage. Denn auch Honorarberater könnten ein finanzielles Eigeninteresse entwickeln, indem sie die Beratungsdauer oder –häufigkeit steigern würden. Honorarberatung müsste daher standardisiert und ihre Qualität kontrolliert werden.

Neutrale Beratung durch Verbraucherzentralen gefordert
Zudem müssten die Berater für ihre Ratschläge haften. Da es für eine solche Honorarberatung aber keinen Markt gebe, soll sie staatlich gestützt werden. Eine neutrale Beratung sollte daher künftig von staatlich gestützten Verbraucherorganisationen kommen, so der Wissenschaftler.

Bild: © Gerd Altmann /

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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