Wirtschaftsforscher sehen keinen Grund für regulatorische Produktinterventionen bei strukturierten Finanzinstrumenten wie etwa eine Beschränkung oder gar ein Verbot des Vertriebs von Hebelzertifikaten und Optionsscheinen.
Fast 70 Prozent der Anleger nutzen Derivate als Hebelprodukte bei der Absicherung ihrer Portfolios. Nur rund ein Drittel der Anleger wählt diese strukturierten Instrumente, um Erwartungen über die Kursentwicklung der Basiswerte auszunutzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der WHU Otto Beisheim School of Management.
Die Rolle der Derivate im Finanzmarkt
Die Untersuchung hat einen repräsentativen Datensatz deutscher Privatanleger eines großen Online-Börsenmaklers ausgewertet. Dieser umfasst insgesamt Transaktionsdaten von fast 70.000 Anlegern, von denen 22.077 in den Jahren 2000 bis 2015 mindestens einmal Hebelprodukte gehandelt haben.
"Derivate erfüllen auf den Finanzmärkten einen wichtigen Zweck: Sie ermöglichen es Anlegern, sich gegen Kursänderungsrisiken abzusichern", erläutert Lutz Johanning, Professor für Empirische Kapitalmarktforschung an der WHU. "Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse wird deutlich, dass es keinen Grund für regulatorische Produktinterventionen, also eine Beschränkung oder sogar ein Verbot des Vertriebs oder des Verkaufs von Hebelzertifikaten und Optionsscheinen, gibt. Vor allem, weil diese Anlegergruppen genau wissen, was sie tun."
Laut Untersuchung gibt es drei Hauptmotive, die die Anleger unterscheidet:
- 24 Prozent werden als sogenannte Hedger bezeichnet. Diese wollen hohe Verluste vermeiden und setzen Hebelprodukte sowie Optionsscheine als Versicherungsinstrumente ein.
- 44 Prozent nutzen die Produkte eher als längerfristige Anlage. Diese Strategen wollen vom Hebel der Produkte profitieren und sich gegen das finanzielle Risiko absichern.
- Ein knappes Drittel (31 Prozent) sind Spekulanten. Sie versuchen, kurzfristige Marktbewegungen zu monetarisieren.
Das an der Analyse beteiligte Forscherteam fordert daher, statt Derivate zu beschränken, die Produktinformationen besser auf die verschiedenen Handelsmotive auszurichten. Dies würde zu einem noch besseren Verständnis dieser Finanzinstrumente beitragen. Das gelte auch bei der Steuergesetzgebung. "Die neue steuerliche Behandlung von Totalverlusten bei Termingeschäften würde den Einsatz zur Absicherung bestehender Portfolios erheblich einschränken beziehungsweise gänzlich zunichte machen", so Johanning weiter.
Derivate als Auslöser wirtschaftlicher Krisen
Trotz dieser Vorteile gibt es Stimmen, die strukturierte Finanzprodukte durchaus kritisch sehen: "Derivate und ein entwickelter Finanzsektor erzeugen nicht automatisch Wachstum. Gleichzeitig können sie, wie die Finanzkrise 2007/2008 gezeigt hat, zum Auslöser wirtschaftlicher Krisen werden", schreiben die Springer Autoren Marc Chesney, Jonathan Krakow, Brigitte Maranghino-Singer und Lukas Münstermann. Im Titel Asset „Pricing“ nimmt das Autoren-Team ökonomisches Wachstum, seine Treiber und Grenzen sowie die gesellschaftliche Diskussion darüber unter die Lupe. Auf den Seiten 227 f. fassen sie zusammen:
„Wachstum ist nicht automatisch immer mit positiven Konsequenzen verbunden und daher sollte genau reflektiert werden, wann Wachstum wünschenswert ist und wann nicht. Historisch betrachtet ist Wirtschaftswachstum mit vielen positiven Entwicklungen verknüpft, in absehbarer Zeit dürfte dieses vermutlich aber an seine Grenzen stoßen. Das Kennen dieser vielseitigen Dimensionen sowie der finanziellen als auch ökologischen Grenzen, hat eine Diskussion über niedriges Wachstum, kein Wachstum und Rückwachstum ausgelöst."
Aus gesellschaftlicher Sicht sei es daher wichtig, über diese Grenzen des Wachstums, insbesondere im Hinblick auf die Umwelt und das soziale Gefüge in unserer Gesellschaft, zu diskutieren.
Autor(en): Angelika Breinich-Schilly