Das größte Konjunkturpaket der gesamtdeutschen Geschichte soll Konsumenten, Unternehmen und Kommunen zugutekommen sowie Investments in die Zukunft ermöglichen. Doch ob die Milliarden auch der Immobilienwirtschaft helfen können, ist sich Helge Scheunemann, Head of Research bei Jones Lang Lasalle (JLL) Germany, nicht sicher. Zwar erwarteten die Marktteilnehmer verzögerte Auswirkungen der Krise auf ihr Geschäft, doch "das Finanzierungsumfeld wird mindestens bis 2021 spürbar schwierig bleiben", so der Immobilienexperte.
"Im weiteren Verlauf könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bei Finanzierern, beispielsweise in Form von Non-performing Loans, konkreter und verstärkter zum Tragen kommen", so Scheunemann. Für die Beurteilung der Werthaltigkeit der Immobilie auch als die Kreditsicherheit sei die Entwicklung an den Investment- und Vermietungsmärkten daher ausschlaggebend.
Markt verunsichert und gelähmt
"Es zeigt sich aber auch, dass von einem teilweise prognostizierten Stillstand der Investmentmärkte keine Rede sein kann und viele Investoren weiter an deutsche Immobilien und eine Fortsetzung der positiven Trends glauben, sobald die Pandemie überwunden beziehungsweise durch Medikamente und Impfstoffe beherrschbar ist", erläutert Piotr Bienkowski, CEO von BNP Paribas Real Estate Deutschland.
"Vorübergehende Mietrückstände oder gar die komplette Stundung von Mietzahlungen beeinträchtigen die Preisfindung aktuell allerdings erheblich. Diese Verunsicherung lähmt den Markt", erläutert Scheunemann. "Der Wert der Immobilien wird zukünftig auf jeden Fall noch viel mehr durch die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Nutzer beeinflusst."
2020 wird vom ersten Quartal geprägt
Auch die Beurteilung der Zahlen der ersten Jahreshälfte löst keine Freudenstimmung aus. Der Grund liegt in der "enormen Diskrepanz der Transaktionsvolumina zwischen dem ersten und zweiten Quartal". Zwar übertraf das Transaktionsvolumen in Höhe von 42,5 Milliarden Euro das erste Halbjahr 2019 mit 31 Prozent deutlich. Doch das Ergebnis sei maßgeblich von einem Plus mit 80 Prozent in den ersten drei Monaten geprägt worden.
Das gesamte Jahr 2020 werde vom ersten Quartal geprägt, prognostiziert der Experte. Und das werde "gleichwohl auch eine Ausnahme bleiben". Die Bewertungen der Monate April bis Juni, deren Beitrag nur zu 35 Prozent zum Halbjahresvolumen beitrug, sei der Beleg dafür, dass die Corona-Pandemie und deren Folgen auch den Investmentmarkt erreicht hat.
Immobilienmarkt bleibt volatil
"Vor allem die im ersten Quartal dominierenden Unternehmensübernahmen und -beteiligungen fanden in der Folge kaum noch statt, sicherlich auch ein Resultat der unsicheren Entwicklung und der Volatilität an den Aktienmärkten", vermutet Scheunemann. Die grassierende Volatilität sei auch in den Statistiken zu finden: der Anteil der Portfoliotransaktionen habe sich im zweiten Quartal deutlich auf rund die Hälfte des Volumens reduziert. Dennoch weist das erste Halbjahr mit einem Volumen von 24,4 Milliarden Euro ein deutliches Plus gegenüber 2019 aus. Einzeltransaktionen trugen mit 18,1 Milliarden Euro 43 Prozent zum Gesamtvolumen bei.
Größte Transaktion des zweiten Quartals war der Verkauf von 86 Prozent inklusive der Immobilien von Godewind an Covivo mit einem Volumen von rund einer Milliarde Euro. Die größte Einzeltransaktion weist München auf, wo rund 240 Millionen Euro in einen Büro- und Gewerbepark flossen.
Core-Segment ist gefragt
Dennoch sei enorm viel Liquidität im Markt und zahlreiche institutionelle und private Investoren suchten nach attraktiven Anlagemöglichkeiten. Typisch für Krisenzeiten fokussiere sich die Nachfrage vermehrt auf das Core-Segment. "Vor allem Produkte mit langlaufenden Mietverträgen und stabilen Mietern, am besten staatlich, sind gefragter denn je. Bei solchen Objekten wird es auch keinen Preisdiscount geben, eher das Gegenteil ist der Fall", so Scheunemann.
Vor allem Banken und Versicherer seien in diesem Segment als Kapitalgeber aktiv, obgleich sich die Finanzierungskonditionen um rund 30 bis 70 Basispunkte verteuert hätten. "In Relation zu den gesunkenen Renditen für Staatsanleihen ergeben sich dennoch nahezu die gleichen Finanzierungskonditionen wie vor Covid-19", erläutert der Immobilienexperte.
Deutliche Unterschiede zwischen den Risikoklassen
"Prinzipiell stehen die Käufer auch den deutschen Büromärkten weiterhin positiv gegenüber. Zum Tragen kommt in diesem Zusammenhang auch die Einschätzung der Anleger, dass Deutschland sich im internationalen Vergleich, wie bereits nach der Finanzkrise, am schnellsten von den Folgen der Pandemie erholen wird, was zu einem relativ zügigen Anziehen der Nutzernachfrage führen sollte. Allerdings sind zwischen den einzelnen Risikoklassen deutliche Unterschiede spürbar", fasst Bienkowski das aktuelle Stimmungsbild zusammen.
Value-Add-Produkte oder Projektentwicklungen, die spekulativ errichtet werden oder noch keine ausreichende Vorvermietung aufweisen, sind dagegen laut JLL weniger gefragt. Die Kapitalkosten hierfür hätten im Schnitt um 100 bis 200 Basispunkte zugelegt. "Und bei großvolumigen Transaktionen ziehen sich Finanzierungen deutlich länger hin als vor der Krise. Viele Finanzierer prüfen insbesondere die Zahlungsbereitschaft der Mieter beziehungsweise die bereits existenten Mietausfälle", so Scheunemann.
Für 2020 bleibt die Branche vorsichtig optimistisch
Das Fazit des Experten lautet daher: "Die Prognose bleibt zur Jahresmitte durchwachsen. Auf der einen Seite laufen einige Verkaufsprozesse weiter beziehungsweise wieder an. Einige auch größere Transaktionen könnten in den nächsten beiden Quartalen erfolgreich über die Bühne gehen." Andererseits werde es in den besonders betroffenen Assetklassen Einzelhandel, mit Ausnahme Lebensmittel, und Hotel auch im weiteren Jahresverlauf schwierig bleiben. Die nach wie vor lahmen Reisetätigkeiten behinderten den Abschluss oder das Fortführen mancher Transaktionen. Für das Gesamtjahr 2020 rechnet sein Haus mit einem Volumen von rund 70 Milliarden Euro. "Dies wäre ein Rückgang gegenüber 2019 um knapp ein Viertel."
Etwas vorsichtiger formuliert es der Immobilienfachmann der BNP Paribas: "Da Restrisiken wie eine zweite Infektionswelle noch nicht vollständig gebannt sind, bleibt es unverändert schwierig, eine Prognose für das Gesamtjahr abzugeben. Es deutet aber vieles darauf hin, dass ein Investmentumsatz über 50 Milliarden Euro möglich ist, womit der zehnjährige Schnitt spürbar übertroffen werden könnte." Für die Preisentwicklung stellt eine stabile Situation im Core-Segment sowie ein noch anhaltender Findungsprozess im Value-add-Bereich das aus heutiger Sicht wahrscheinlichste Szenario dar.
Autor(en): Angelika Breinich-Schilly