Neues VVG hat weitreichende Auswirkungen auf Vertrieb

6. Bildungskongress der deutschen Versicherungswirtschaft in Hamburg


"Viele haben es lange nicht erkannt, aber die VVG-Reform hat unmittelbare Auswirkungen auf alle Prozesse und die Arbeit von fast allen Mitarbeitern, vor allem im Vertrieb", so die kurze, aber prägnante Situationsbeschreibung von Martin Stadler von der Allianz Versicherungs-AG, München, kurz vor der Einführung des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) auf dem 6. Bildungskongress der deutschen Versicherungswirtschaft in Hamburg. Der Rechtsreferent des Münchener Versicherers skizzierte auf dem von DVA und BWV organisierten und mit dem Motto "ausBildung - Werte schaffen" überschriebenen Kongress "Schulungskonzepte zur VVG-Reform", die auch sein Unternehmen umsetzt.

Stadler ist sich sicher, dass das neue VVG den Vertrieb mehr beeinflussen wird als die EU-Vermittlerrichtlinie. So provozierten unter anderem die unterschiedlichen Vertragsabschlussprozesse bei vielen Versicherern das Problem, dass erst in ein bis zwei Jahren feststünde, ob und in welchem Umfang diese Abschlüsse nachgebessert werden müssten. Stadler beklagte auch, dass das bisherige Policenmodell abgeschafft werden sollte, obwohl dieses den Kunden kaum gestört hätte, in erster Linie nur den Gesetzgeber. Um den Anforderungen des neuen Antragsmodells und der Pflicht, dem Kunden rechtzeitig vor Vertragsabschluss die wichtigsten Informationen in Textform vorzulegen, seien viele Unternehmen dazu übergegangen, die Verbraucherinformationen auf CDs zu brennen.

Die Allianz hat sich in diesem Zusammenhang für die "modifizierte Vertragsabschlusslösung" nach Professor Dr. Peter Schimikowski entschieden, wobei durch Schweigen der Vertragsabschluss akzeptiert wird und in einem gesonderten Papier wird geklärt, dass der Vertrag besteht. Bei grober Fahrlässigkeit sei sicher eine Quotelung möglich, aber schwierig und enorm aufwändig. Eine teilweise Leistung sei da sicher unproblematischer und auch gerecht. Bei einem Vertragsabschluss bis zum 31. Dezember 2007 bestünde zwar eine Übergangsfrist für Bestandsverträge, aber durch die HUK, die ihren Neu- und Bestandskunden diese Option schon ab dem 1. Januar 2008 anbieten werde, sei nun in der Branche ein (enormer) Druck entstanden, zu reagieren. Zudem lauere in den Bestandsverträgen eine besondere Gefahr, denn durch die VVG-Reform könnten viele Klauseln in diesen unwirksam werden und der Gesetzgeber hätte keine Hilfestellung gegeben, wie mit diesem Problem umzugehen sei. Generell werde es viele Jahre dauern, bis durch diese Veränderungen im VVG wieder Rechtssicherheit bestünde.

Das Stichwort "Fabrik" wird auch für die Versicherungsbranche zunehmend relevanter und einige Versicherer sehen in der "Versicherungsfabrik" auch die Zukunft, denn sie soll helfen, die Produkte zu vereinheitlichen und die Komplexität der Prozesse zu verringern. Wichtige Faktoren wie Automatisierung, Zentralisierung und die enge Zusammenarbeit mit externen Partnern - zum Beispiel durch Kooperationen - müssen hierfür aber die Grundlage bilden. Wie die Central Krankenversicherung AG, Köln, das Thema "Fabrik" in ihrem Haus umsetzte und wie der neue Automatisierungsprozess sich auf die Mitarbeiter auswirkte und von diesen aufgenommen wurde, schilderte u. a. Manuel Göb, Abteilungsleiter Leistung bei der Central. Der Automatisierungsprozess, der sich auch auf andere Bereiche des Konzerns auswirkte, wurde in rund zwölf Monaten bei dem Kölner Versicherer umgesetzt. Grundlage für dieses neue Verfahren waren konstante Kostensteigerungen im Gesundheitswesen (Beispiel: 20 Prozent der Leistungsanträge verursachen 80 Prozent der Ausgaben), zunehmend komplexe Bearbeitungsprozesse und die Forderung der Unternehmensleitung nach Ertragssteigerungen.

ALA nennt sich die neue automatisierte Leistungsabrechnung bei dem Kölner Versicherer, die dazugehörige Prüfsoftware wird von den "Centralern" geheimnisvoll "Dieter Dunkel" (DD) genannt. Das anfängliche Ziel, mit dieser zehn Prozent der Fälle abarbeiten zu können ist laut Göb noch nicht gelungen, aber dafür hat sich die Erfassungszeit bei den Mitarbeitern um rund 33 Prozent reduziert. Die Umstellung auf die neue Leistungsabrechnung brachte den Mitarbeitern aber nicht nur eine Arbeitserleichterung, sondern auch neue Aufgabenstellungen. Das System im Einzelnen: Die Struktur der Abteilungen wurde verändert und folglich drei neue Abteilungen geschaffen: Kundenschnellbetreuung (80 bis 90 Prozent der Mitarbeiter wollten dort arbeiten), Nachkorrektur und das Spezialistenteam. In der letztgenannten Abteilung müssen die Mitarbeiter nun stärker als Unternehmer auftreten. Und Führungskräfte allgemein müssen künftig stärker betriebswirtschaftlich denken.

Die notwendigen Gehaltskorrekturen werden Schritt für Schritt vorgenommen. Versicherungskaufleute, durch die neue Standardisierung der Prozesse eher unterbeschäftigt, mussten sich für ihre neuen Aufgaben weiterbilden und zum Beispiel medizinische Grundkenntnisse aneignen. Neue Anforderungen mussten mit den vorhandenen Profilen abgeglichen werden. Göb wörtlich: "Rund 250 Mitarbeiter waren von den Neuerungen betroffen, viele hatten Angst vor dem Neuen, fürchteten anfänglich um ihren Arbeitsplatz. Unser Fehler war, dass wir sehr technisch an diese Veränderungen rangegangen sind, wir haben die emotionale Eben unterschätzt."

Autor(en): Meris Neininger

Alle Personalien News