Im Bermudadreieck verschollen

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Eine Gastschülerin sollte bei ihrem Auslandsaufenthalt gut versichert werden. Das ging gründlich schief und hatte für den Vermittler ein teures Nachspiel.

Vor dem Landgericht Hamburg (Urteil vom 1. Oktober 2020, Az. 9 U 87/18, r+s 11/2022, 654-659) bekam ein Vater Recht, der die Austauschagentur seiner Tochter verklagt hatte. Ende 2018 hatte er für die damals 15-jährige Tochter ein Austauschprogramm gebucht, die zehn Monate in den USA an einer Highschool unterkommen sollte. Das Programm kostete fast exakt 10.000 Euro.

Versicherung praktisch verpflichtend

In der Vereinbarung mit der Agentur war festgehalten, dass die Austauschschüler für die Dauer ihres Auslandsaufenthalts „im Gastland kranken-, unfall- und haftpflichtversichert“ werden mussten. Dies war eine Verpflichtung seitens der US-amerikanischen Partnerorganisation.

Im März 2019 erhielt der Vater per E-Mail ein Angebot für eine entsprechende Versicherung von der Austauschagentur. Betont wurde, dass das Paket „speziell auf die Bedürfnisse von Austauschschülern ausgerichtet ist“. Die Teilnehmer würden nach Zahlungseingang zu dem Programm angemeldet, vermittelt über einen französischen Versicherungsmakler. Als Versicherer wurde eine österreichische Gesellschaft angegeben.

Deutschland, Frankreich und Österreich involviert

In den Versicherungsbedingungen wurde darauf hingewiesen, dass chronische oder bereits vor Abreise entdeckte Krankheiten nicht gedeckt würden, „sondern nur eventuell und in begrenzter Höhe im Falle einer Verschlechterung“. Vor der Abreise bestehende Krankheiten mussten besonders angegeben werden. Für die Schülerin wurde in diesem Fall von der Kinderärztin ein entsprechendes „Certificate of Health“ ausgestellt, dass ihr eine gute Gesundheit bescheinigte.

Die Versicherung wurde beantragt und 750 Euro dafür bezahlt. Die Austauschagentur erhielt hiervon „weniger als 200 Euro“.

Neuer Versicherer, schlechtere Klausel

Im Juli desselben Jahres erhielt die Austauschagentur die Information, dass der Makler dem Versicherungspartner gewechselt hatte. Neuer Versicherer war eine Gesellschaft mit Sitz auf den Bermudas. Die Familie der Austauschschülerin wurde darüber per E-Mail in Kenntnis gesetzt. Mitgesendet wurden die neuen Versicherungsbedingungen, die in englischer Sprache abgefasst waren. Offensichtlich hatte die Austauschagentur selbst diese Unterlagen nicht gelesen oder geprüft, sondern nur durchgereicht.

Das aber stellte sich hier als ein entscheidendes Problem heraus. Denn laut den neuen Versicherungsbedingungen wurden „sämtliche zum Zeitpunkt des Antrags auf Abschluss der Versicherung bestehende Vorerkrankungen (…), unabhängig davon, ob diese vorher manifestiert, symptomatisch, bekannt, diagnostiziert, behandelt oder offen gelegt waren“, ausgeschlossen.

Teure Behandlung notwendig

Die Schülerin trat die USA-Reise Anfang August 2019 an. Rund ein halbes Jahr später bekam sie starke Kopfschmerzen, denen eine ärztliche und schließlich mehrere stationäre Behandlungen folgten. Es wurde ein gutartige Gefäßmissbildung, ein Kavernom, festgestellt und nach Rückkehr nach Hamburg im Februar 2020 operiert. Vor Gericht war streitig, ob das Kavernom schon vor Reiseantritt bekannt war oder nicht.

Insgesamt wurden in den USA ärztliche Leistungen in Höhe von über 52.700 US-Dollar in Rechnung gestellt. Zunächst wurden sie vom amerikanischen Krankenhaus als Versicherungsleistungen bezeichnet, dann aber die Rechnung korrigiert und deutlich gemacht, dass der klagende Elternteil diese zu tragen habe.

Die Bermuda-Versicherung lehnte die Übernahme dieser Kosten mit Verweis auf ihre Bedingungen ab. Laut einem von dem Versicherer beigebrachten Gutachten wurde dargelegt, dass das Kavernom schon zwei bis vier Jahre vor dem Auftreten der Kopfschmerzen vorhanden gewesen sein müsse und damit vor Antragstellung.

So eine Versicherung hätte man nicht abgeschlossen

Der Kläger verlangte nun von der Auslandsagentur einen Schadenersatz in Höhe von umgerechnet rund 44.700 Euro. Sie habe ihre Pflicht verletzt, eine nach hiesiger Rechtsprechung zulässige Versicherung zu beschaffen, die auch bereits vor Reiseantritt bestehende, aber dem Betreffenden nicht bekannte Vorerkrankungen aufkommt. Auch seien die Aufklärungspflichten über einen derart weitreichenden Ausschluss des neuen Versicherers nicht eingehalten worden. Sonst hätte der Vater seiner Tochter einen besseren Versicherungsschutz beschaffen können.

Das Landgericht schloss sich dieser Meinung an und bezog sich dabei auf § 241 BGB. Laut dem Leitsatz sei die Agentur „zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der aus einem Missverhältnis zwischen beworbenem und tatsächlich existierendem Versicherungsschutz erwächst“.

Urteil richtig, aber eigenwillig begründet

Rechtsanwalt Maximilian Teichler aus Hamburg kommentiert das Urteil: „Das Ergebnis ist richtig und begrüßenswert“. Gleichzeitig äußert er Verwunderung darüber, „dass das Gericht keine versicherungsrechtliche Vorschrift herangezogen, sondern sich ganz auf das BGB gestützt hat“. Ein möglicher Grund könnte sein, dass es sich um eine Gruppenversicherung  gehandelt habe, weiter thematisiert wird das im Urteil jedoch nicht.

Teichler jedenfalls glaubt, dass die Auslandsagentur in diesem Fall als Vermittler tätig geworden sei, darauf deuteten schon das fast zwingende Angebot der Versicherung und die rund ein Viertel der Prämie ausmachende Provision hin. Leider sei nicht untersucht worden, ob die Agentur eine Vermittlereintragung besaß und ob ein Schadenersatzanspruch nach § 63 VVG wegen fehlender, ordnungsgemäßer Befragung, Beratung und Begründung des Angebots naheliegend gewesen wäre.

Auch Aufsichtsbehörden sollten tätig werden

Ein Problem stellt für Teichler weiter dar, dass ein Nicht-EU-Versicherer vermittelt wurde, der Bermuda-Versicherer habe „sich strafbar gemacht“ gemäß § 333 Absatz 1 VAG. Und der französische Makler dürfte sich wohl ernsthafte Fragen nach seiner Zuverlässigkeit stellen lassen. Insofern sollten hier auch Aufsichtsbehörden tätig werden, meint er mit Blick auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die zuständige Industrie- und Handelskammer sowie die französische Aufsichtsbehörde des Maklers.

Auch nicht geklärt worden sei das Schicksal des ursprünglichen Versicherungsvertrags des österreichischen Versicherers, auf dessen Angebot sich die klagende Partei eigentlich eingelassen hatte. Insbesondere bleibe offen, ob dieser Vertrag möglicherweise immer noch bestanden habe und gar nicht so einfach hätte gekündigt werden können.

Autor(en): Matthias Beenken

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