Lex specialis für Vergleichsportale?

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Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung kritisiert das aktuelle Recht des Versicherungsvertriebs als viel zu eng am klassischen Vermittlerbild orientiert. Was anders sein sollte, und warum.

Die an der Universität Göttingen angenommene, juristische Dissertation von Lisa Kammann beschäftigt sich mit der Digitalisierung im Versicherungsvertrieb, wobei ein klarer Fokus auf den Vergleichsportalen liegt. An verschiedenen Stellen werden unter anderem auch Insurtechs oder technologische Neuerungen wie Unterschriften-Pads behandelt, mit denen traditionelle Vermittler Teile ihrer Tätigkeit digitalisieren können.

AVB auf dem Handy lesen?

Unter dem Stichwort "M-Commerce" oder "Mobile Commerce" diskutiert die Autorin die technologischen Besonderheiten der Smartphones und ähnlicher Geräte. Die recht kleinen Bildschirme sind offensichtlich kaum geeignet, komplexe Textdateien wie zum Beispiel Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) angemessen anzuzeigen.

Das führt zu einem Dilemma: "Zu beachten ist, dass die AVB bei Versicherungsprodukten eine besondere Rolle spielen." Denn anders als die sonst üblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) betreffen AVB "die Hauptleistungspflichten" einer Versicherung. Liest ein Onlinekunde die AGB nicht und bestätigt deren Akzeptanz blind, hat das weitaus weniger schwerwiegende Rechtsfolgen, als wenn er dasselbe mit AVB macht.

Lösungsmöglichkeit standardisierte Mindestbedingungen?

Die Autorin diskutiert verschiedene Lösungsmöglichkeiten wie den Ausschluss bestimmter, zu kleiner Handybildschirme von einer Abschlussmöglichkeit, einer Handy-gerechten Kürzung der AVB oder einer reinen Verlinkung auf diese für den interessierten Nutzer - keine dieser Lösungen hält jedoch ihren rechtlichen wie praktischen Überprüfungen stand.

Eine weitere, denkbare Lösung fehlt in der Erörterung - eine Wiedereinführung einer AVB-Aufsicht oder sonst zertifizierter Mindeststandards, mit deren Hilfe ein Mindestleistungsumfang einer mobil angebotenen Versicherung gewährleistet wird. Der Anbieter müsste dann nur noch auf zugunsten der Kunden abweichende Leistungen eingehen. Solche Lösungen werden durchaus auf europäischer wie auf nationaler Ebene diskutiert, was durchaus als eine teilweise Rückkehr zur materiellen Versicherungsaufsicht eingeordnet werden könnte, wie sie vor 1994 üblich war.

Kammann kommt zu einem anderen Fazit und schlägt eine Herabsetzung der gesetzlichen Anforderungen zur Kundeninformation für diese speziellen Vertriebsformen vor. "Dabei muss selbstverständlich ein ausreichend hohes Schutzniveau für Verbraucher und Versicherungsnehmer gefordert werden", meint sie, weist gleichwohl aber die Verantwortung für die Nachteile einer Nutzung von Mobilabschlussprozessen dem Kunden zu.

"Weiß" der Kunde, was er "will"?

Dieser Gedanke zieht sich durch die weitere Untersuchung. Der "moderne", "junge" Kunde sei schon erfahren genug zu wissen, wann er mobil ohne Beratung und umfassende Information Versicherungen kaufen kann und wann nicht. Dies widerspricht allerdings dem Geist der aktuellen Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD, die im Interesse der Wettbewerbsgerechtigkeit eine Gleichbehandlung aller Vertriebsformen vorsieht. Die IDD differenziert durchaus zwischen "traditionellen" und "virtuellen" Vertriebsformen, wie man besonders gut am Artikel 20 erkennen kann, der die Beratung und die Standards für den Vertrieb ohne Beratung - zum Beispiel im Fernabsatz - regelt.

Es stellt sich die Frage, ob das Verbraucherschutzniveau nur deshalb unterschiedlich sein darf, weil einzelne Anbieter von sich aus, unbedrängt von Gesetzgeber oder anderen höheren Mächten, aus wirtschaftlichem Interesse Mobil-Abschlussprozesse entwickeln und anbieten. Dass "der Kunde" das alles genauso will, ist eine Hypothese, die erst zu beweisen wäre.

Dass man auf einem kleinen Bildschirm weniger bequem lesen kann als auf einem großen, kann kein ernsthaftes Argument für eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte sein. Denn wenn man diesen Gedanken fortspinnen würde, könnten findige Vertriebspraktiker leicht weitere Gründe für Ausnahmen vom allgemeinen Niveau der Informations- und Beratungspflichten finden.

Positiv- und Negativliste verglichener Gesellschaften

Die Linie setzt die Autorin bei der Erstinformation fort, wo sie bezogen auch auf den Rechtsstreit des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute mit dem Vergleichsportal Check24 die diversen Rechtsunsicherheiten bei der Umsetzung aufzeigt. Knackpunkt ist die Pflicht zur Übermittlung und die Frage, welchen Aufwand der Anbieter betreiben muss, um sicherzustellen, dass der Internetnutzer in den Besitz der Erstinformationen gelangt. Auch da schlägt Kammann Erleichterungen für den Onlinevertrieb vor.

Die in der Regel als Makler tätigen Vergleichsportale sollten allerdings auch eine in dieser Form neue Informationspflicht zur Beratungsrundlage erhalten und Listen der verglichenen Versicherungen zeigen. Zum einen wären das eine Positivliste der einbezogenen und zum anderen eine Negativliste der nicht einbezogenen Gesellschaften. Das würde die Kunden wesentlich besser als jetzt aufklären, wie breit die Beratungsgrundlage des Portals ist. Derzeit müssen Makler nur dann den Kunden über ihre Beratungsgrundlage informieren, wenn sie diese im Einzelfall ausdrücklich beschränken wollen.

Eigenverantwortung des Kunden als Maßstab?

Beim Thema Beratung vertritt die Autorin wieder eine sehr liberale Sicht. Die anlassabhängige Beratung durch ein Portal kann ihrer Meinung nach eng auf ein einzelnes Produkt im vom Kunden ausgewählten Tarifrechner ausgelegt werden, denn es "ist davon auszugehen, dass der Kunde auch nur diesen konkreten Versicherungswunsch hat".

Begründet wird das erneut mit einem behaupteten Wissen des Kunden eines Portals, dass "er dort nur einen Vergleich bestimmter Versicherungsprodukte anhand eingegebener Angaben erhält und keine umfangreiche Befragung und Beratung hinsichtlich seiner Gesamtsituation, in der festgestellt wird, welche Produkte er benötigen könnte". Mit dieser faktischen statt normativen Argumentation könnte man allerdings jegliche Frage- und Beratungspflicht wegdiskutieren. So könnte man ebenso behaupten, dass auch traditionelle Vermittler meist keine umfassende Beratung durchführen und Produkte anbieten, bei denen die Kunden schon selbst wissen oder kritisch nachfragen sollten, ob sie diese vordringlich brauchen - schon wären sämtliche Pflichten in Abrede gestellt.

Kunde soll "wohlinformierte Entscheidung" treffen

Eigenwillig ist Kammanns Einschätzung, dass die reine Anzeige von Noten und "Preis-Leistungs-Empfehlungen" in der Trefferliste eines Vergleichsportals die Begründungspflicht nach dem VVG erfüllt. Damit müsste auch jede offline dem Kunden überreichte Marketingbroschüre voller Siegel und Noten eine dem Gesetz Genüge tuende Begründung eines Versicherungsvorschlags sein.

Sowohl der Europäische Richtlinien- als auch der deutsche Gesetzgeber wollten offenkundig stattdessen, dass der Anbieter in der Begründung dem Kunden verdeutlicht, warum das Angebot geeignet ist, seine vorher erfragten Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen - auf diese muss sich also der Anbieter ausdrücklich beziehen. In der IDD wird ergänzt, dass der Kunde mithilfe der Begründung eine "wohlinformierte Entscheidung" treffen können soll. Das bedeutet aber mehr als nur auf eine eingeblendete Produkt-Note zu klicken und nachzulesen, zu wie viel Prozent diese vom Portal selbst, von anonymen Kunden oder ebenso anonymen "Experten" abgegeben wurde, wie Kammann als Beispiel aus ihren umfangreichen Onlinerecherchen bei gängigen Portalen berichtet.

Streitbare Thesen

Widerspruch dürfte auch die These auslösen, dass das Zustandekommen des Angebots, also des Rates, im Onlinevertrieb nicht dokumentiert werden könne. Dies würde „einen erheblichen Umfang einnehmen, wodurch das Protokoll unübersichtlich und überladen wirken würde. Dazu gibt es durchaus andere Meinungen und auch praktische Hilfen wie beispielsweise vom Arbeitskreis Beratungsprozesse, dessen Arbeitsergebnisse nicht in die Dissertation einbezogen wurden.

Zusammenfassend liefert die Arbeit einen guten Überblick über verschiedene Probleme der Erfüllung der Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten im Onlinevertrieb, auch im Zusammenspiel mit allgemeinen Rechtsvorgaben zum Beispiel aus dem Telemediengesetz. Im Ergebnis schlägt sich die Autorin erkennbar auf die Seite der Onlinevertreiber, die am liebsten von allen Regulierungsfesseln befreit würden, weil das "der Kunde so will". Nur dass es der Anbieter ist, der bestimmt, was "der Kunde will" und deshalb online oder mobil angeboten bekommt. Daraus erwächst eine Verantwortung, die man auf keinen Fall vergessen sollte.

Lesetipp

Lisa Kammann: Digitalisierung im Versicherungsvertrieb, Ein Untersuchung der rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Versicherungsvergleichsportale, ISBN 978-3-96329-014-5, 272 Seiten, 32 Euro, 2018 Verlag Versicherungswirtschaft Karlsruhe.

Autor(en): Matthias Beenken

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