Kommt die Kleinanlegerstrategie doch noch?

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Heute ist ein wichtiger Tag in Brüssel: Im Trilog will man sich rechtzeitig vor der im Juni stattfindenden Europawahl auf neue Regeln für Anleger und Makler einigen.

Die Europäische Kommission hatte letztes Jahr im Mai einen Vorschlag einer "Omnibus-Richtlinie" vorgelegt, mit der eine ganze Reihe bestehender, europäischer Richtlinien angepasst werden soll, darunter auch die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD. Der Vorschlag hatte erhebliche Kritik ausgelöst. Vor allem einige deutsche Maklerverbände störten sich daran, dass Makler, die sich als "unabhängig" bezeichnen, keine Provisionen und andere Anreize annehmen dürfen.

Titel der Reform angepasst

Wie aus gewöhnlich schlecht informierten Kreisen verlautete, ist es nun zu einer Kompromisslösung gekommen, mit der die drei europäischen Institutionen Kommission, Parlament und Rat voraussichtlich am heutigen Rosenmontag den Durchbruch schaffen werden. Ziel ist, im sogenannten Trilog eine Einigung herbeizuführen, um noch vor der Europawahl die Kleinanlegerstrategie verabschieden zu können.

Der Kompromissvorschlag besteht aus mehreren Elementen. Erstens wird der Titel der Reform geändert. Statt einer Kleinanleger- geht es nun um eine Groß- und Kleinanlegerstrategie.

Auf Vorschlag deutscher Gleichstellungslehrstühle mehrerer pädagogischer Hochschulen wird diese zudem gegendert und heißt dann Groß- und Kleinanleger*innenstrategie. Das Bedenken einiger ultrakonservativer Abgeordneter, der Begriffsbestandteil "Innenstrategie" könne missverstanden werden, dass es nur um die Anlageberatung in geschlossenen Räumen und nicht auch unter freiem Himmel gehen soll, wurde als nicht stichhaltig zurückgewiesen. Als wesentlich bedeutsamer wird das Ziel einer diskriminierungsfreien Formulierung angesehen. Kulturelle Aneignungen wie das Beharren auf Anlageberatungen nur in geschlossenen Bankfilialen ohne Tageslicht seien zu vermeiden, so die Begründung.

Die Ergänzung um den Begriff "Groß" dient demselben Zweck, Diskriminierungen zu vermeiden. Überzeugt hatte der Vortrag eines skandinavischen Abgeordneten mit Wikinger-Wurzeln, der in einer sehr emotionalen Rede auf die abwertende Wirkung des Begriffs "Kleinanleger" auf Menschen mit mehr als 1,60 Meter Körpergröße einging. Die zu Tränen gerührten Parlamentarierer und Regierungsvertreter konnten sich in der Folge sehr schnell auf einen diskriminierungsärmeren Titel einigen, wie Teilnehmer berichteten. Nicht durchsetzen konnte sich allerdings der Vorschlag einer mitteldeutschen Abgeordneten, der Diskriminierung mittelgroßer Anleger – innen wie außen – entgegenzuwirken und den Begriff "Mittel" im Strategienamen zu ergänzen.

Man kann nichts verbieten, was es nicht gibt

Einen Durchbruch gab es auch bei der Frage der Provision für die unabhängige Beratung. Dafür wurden die rechtswissenschaftlichen Gutachten zweier deutscher Professoren ausgewertet, die im Auftrag von Vermittlerverbänden erstellt worden waren. Beide Gutachten stimmten im Ergebnis überein, dass man nichts verbieten könne, was es gar nicht gebe. Diese faktische Unmöglichkeit einer Rechtswirkung betreffe auch die unabhängige Beratung.

Tatsächlich hänge Beratung immer irgend wovon ab. So berichtete der eine Gutachter von einer Studie aus den Vereinigten Staaten, in der experimentell Richter befragt worden waren, welche Strafe sie für einen fiktiven Angeklagten vorsähen. Das erschütternde Ergebnis war, dass von Freispruch bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen eine riesige Bandbreite an Urteilen gefällt wurde. Der Träger des Wirtschaftsnobelpreises, David Kahneman, führte dies darauf zurück, dass die Urteilsfindung nicht unwesentlich von der Tagesform der Richter abhänge. Habe zum Beispiel am Wochenende zuvor die Lieblingsmannschaft des Richters verloren oder der Ehepartner einen schlechten Tag gehabt, wirke sich das unmittelbar auf die vom Richter abhängenden Angeklagten aus.

Tagesform entscheidet über das Ausmaß der Abhängigkeit

Übertragen auf die Anlageberatung sei das genauso: Die Beratung hänge immer auch von der Tagesform des Anlegers und seiner Bereitschaft ab, blind jeden Vorschlag für eine überteuerte Anlage, am besten noch mit aufwändigem Versicherungsmantel und Superprovisionen für den Maklerpool ausgestattet, zu unterschreiben. Es komme immer wieder vor, dass sich Anlegeri*nnen wie außen widerspenstig zeigten oder gar mit einem Besuch der Plattform Check24 drohten.

Die Argumentation der Rechtswissenschaftler überzeugte die Europäische Kommission, woraufhin diese ihre Forderung nach einem Provisionsverbot für unabhängige Beratung zurückzog. Allerdings warnte der Justiziar eines deutschen Maklerverbands die Makler davor, sich nun bedenkenlos als "unabhängig" zu bezeichnen.

Vorsicht bei der Verwendung der Begriffe

Denn der Verbraucherzentrale Bundesverband habe inzwischen zwei Urteile erstritten, wonach Makler der Irreführung der Kunden überführt und verurteilt wurden. Tatsächlich waren sowohl in dem vor dem Landgericht Köln als auch vor dem Landgericht Bremen verhandelten Fall die verurteilten Makler dabei beobachtet worden, an Eiscafés und ähnlichen Orten abzuhängen, anstatt ihrem Verkaufsauftrag der Fondsindustrie nachzukommen. Der betreffende Verband empfiehlt nun Maklern, ihrer Freizeitgestaltung unauffälliger nachzukommen.

Nicht weiter verfolgt wird der Vorschlag eines anderen Experten des Maklermarktes. Der hatte in einer weithin beachteten Maklerzeitschrift vorgeschlagen, den Begriff "unabhängig" durch "ungebunden" zu ersetzen. In der nachfolgenden Ausgabe musste die Zeitschrift eine Korrektur dieses Beitrags abdrucken, weil der Autor vergessen hatte darauf hinzuweisen, dass die Titulierung "ungebunden" nicht von verheirateten Maklern in Anspruch genommen werden dürfe. Das sei sonst eine erneute Verbrauchertäuschung, die vom Verbraucherzentrale Bundesverband umgehend verfolgt werden dürfte.

Lesetipp

Die neue Fassung der Groß- und Kleinanleger*innenstrategie liegt auf einem Server der Europäischen Union, der nur in der fünften Jahreszeit freigeschaltet ist. Leserinnen und Leser, die diese Jahreszeit nicht kennen, sollten beachten, dass der Inhalt dieses Artikels möglicherweise nicht in absolut jeder Hinsicht und zu 100 Prozent die tatsächlichen Entwicklungen vollständig korrekt wiedergeben könnte. Alaaf und Helau!

Autor(en): Matthias Beenken

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