So führen Sie richtig

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Mitarbeitende zu führen ist eine der größten Herausforderungen im Laufe einer Karriere. Was das unter den speziellen Rahmenbedingungen der Versicherungswirtschaft bedeutet, beleuchtet ein neuer Ratgeber.

Seit März ist die Heimarbeit "das neue Normal" in Versicherungsunternehmen. Insofern ist es sicher keine schlechte Idee, einen Beitrag über "Führung von Telearbeitern" an den Anfang des Herausgeberwerks der Personalexperten Klaus Bischof und Michael Gold über "Führung und Management in der Versicherungswirtschaft" zu stellen. Wobei "Telearbeit" ungefähr so zeitgemäß klingt wie "Telekolleg", "Teletext" oder "Telefax". Im Verlauf des Beitrags tauchen aber auch heute gebräuchlichere Begriffe wie Homeoffice oder mobile Arbeit auf.

Der Autor des Beitrags weist auf wichtige Herausforderungen vor allem in der Führung gemischter Teams hin, bei denen also Teile der Belegschaft im Büro und Teile daheim arbeiten. So sollten Führungskräfte Freiräume schaffen und nicht durch einen permanenten Überwachungsdruck ein schlechtes Gewissen erzeugen. Führungskräfte sollten sich der Nachteile von Homeoffice wie einer jedenfalls bei länger andauernder Tätigkeit drohenden sozialen Isolierung oder einer fehlenden Trennung von Beruflichem und Privatem bewusst sein.

Gesundheit und Führung gehören zusammen

Unter den 28 Autorinnen und Autoren des Buchs finden sich Personalleiter und Personalentwickler von Versicherungsunternehmen, Vertreter des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmen und Berater.

Wichtige weitere Themen betreffen zum Beispiel die Gesundheit keineswegs nur der Geführten, sondern auch der Führungskräfte: "Gesund Führen stärkt nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Produktivität!" So sollten Führungskräfte nach dem Rat einer Autorin auch selbst ihre Arbeitszeit begrenzen, Ruhephasen beachten und Stressfaktoren wie zum Beispiel das Handy "ritualisiert immer zur gleichen Zeit ausstellen". Ein anderer Autor ergänzt, welche "inneren Antreiber" das Risiko psychischer Erkrankungen verstärken: "Beeil dich", "sei perfekt", "sei stark" und "sei beliebt". Der Führungskraft rät er allerdings, sich "als Coach (...) und nicht als Therapeut" zu verstehen.

Hierarchiefreies Führen

Führungskräfte in Versicherungsunternehmen müssen sich mit neuen Führungsmethoden beispielsweise rund um das agile Arbeiten vertraut machen. Hierbei kann der Erfahrungsbericht einer Projektführungskraft helfen, die selbst solche Methoden einführen musste. Dazu wird anschaulich beschrieben, wie Scrum funktioniert, und was unter einem Sprint zu verstehen ist. Allerdings: Es gibt dabei "explizit keine klassisch-hierarchische Führungsrolle" mehr. Immerhin bedürfe es noch Führungskräften, um die nötigen Rahmenbedingungen für ein hierarchiefreies Arbeiten in bestimmten Rollen zu schaffen.

Ob das aber für die "anderen" Mitarbeitenden "nicht eine Abwertung ist", wenn sie weniger kreative Aufgaben zu lösen haben und nicht an Innovations-Labs und agilen Projekten teilnehmen dürfen, fragt ein Personalleiter in seinem Beitrag. Seine Anregung lautet, möglichst keine Biotope mit "exklusivem Anspruch auf Innovation" zu schaffen, sondern möglichst viele Mitarbeitende einzubinden und "das kreative Potenzial der gesamten Belegschaft zu nutzen".

Allerdings dürfte der Rat, "schaffen Sie die Insignien der Macht ab", nicht jeder Führungskraft unter den Lesern schmecken. Immer noch gelten die Größe des Büros oder des Dienstwagens vielen Branchenmitarbeitern als unverzichtbare Ziele einer erfolgreichen Karriere.

Familie und Beruf vereinbaren

Wie man Familie und Beruf besser unter einen Hut bekommt, ist ein weiterer Themenschwerpunkt. So schildert eine Personalleiterin, dass zwar Versicherer mittlerweile viele Betreuungsangebote und Flexibilisierungsmöglichkeiten geschaffen haben. Das eigentliche Problem liege jedoch immer noch darin, wie man nach einer Rückkehr aus der Elternzeit an die Karriereentwicklung anknüpft.

So müssten unter anderem die Mütter "im Unternehmen die richtigen Signale setzen", sie sollten "sich anbieten und sichtbar machen". Dazu gibt es dann Tipps in der Qualität von "Augen auf bei der Partnerwahl!", als ob die mit einer Elternschaft aufkommenden Belastungen, Herausforderungen und Einstellungsveränderungen ohne weiteres schon in der Frühphase einer Beziehung vorhersehbar und planbar wären. Hilfreicher erscheint da schon ein Tipp wie, "vernetzen Sie sich mit anderen erfolgreichen Frauen und lassen sich von deren Erfolgsrezepten berichten".

Wieder ein anderes Autorinnenteam schreibt über Diversity und zeigt anhand von Beispielen ihres Arbeitgebers auf, wie sich das respektvolle Führen in einer diversen Organisation realisieren lässt. Ob man dafür "Diversity Manager*innen" einstellen muss, ist wohl eine Frage der Unternehmensgröße. Die Autorinnen rufen dazu auf, "Vielfalt als Erfolgsfaktor" zu verstehen und wie andere betriebswirtschaftliche Erfolgsfaktoren auch durch "Key Performance Indicators" beobachtbar und gestaltbar zu machen. Andere Autorinnen berichten Ermutigendes über ihre Erfahrungen mit der Teilung von Arbeitsplätzen - auch bei Führungskräften.

Der Kunde ist irgendwie auch noch wichtig

Neben der Binnensicht gibt es Beiträge mit einer Außensicht auf den Kunden, der all diese Themen, Projekte, Teams und Fachkräfte überhaupt erst als solche rechtfertigt. So befasst sich ein Beitrag mit einem Projekt "Empathischer Kundendialog". Dabei ist Empathie durchaus eine Tugend, die Führungskräften keineswegs nur im Kundendialog, sondern in der alltäglichen Führungssituation hilft, wird herausgestellt.

Rekrutierung ist eine wichtige Aufgabe für Personalfachleute und Führungskräfte. Hierzu bietet ein Beitrag einen strukturierten Überblick über die Vorgehensweise. Etwas knapp wird dort auf regulatorische Anforderungen mit dem Stichwort "Zuverlässigkeitsprüfung" unter Verweis auf ein eigentlich anders betiteltes "Rundschreiben Zuverlässigkeitsprüfung" der BaFin eingegangen. Interessant wäre, die Leser bei der Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD zu unterstützen und zu klären, wann einzustellende Mitarbeiter unter die Begriffsdefinition "Vertrieb" nach VVG fallen und welche Anforderungen bei Einstellung sowie fortlaufend laut VAG zu erfüllen sind. Auch die als Hilfe gedachten Funktionsbeschreibungen und Anforderungsprofile bleiben in dieser Hinsicht unscharf und unvollständig, obwohl im verwendeten Beispiel sogar eine "Innendienstkraft mit Verkaufstätigkeit" beschrieben wird.

Führen mit und nach Zahlen noch zeitgemäß?

Ein Vertriebsdirektor schreibt in seinem Beitrag in begrüßenswerter Offenheit, er sei in seiner Ausbildung "getrimmt" worden, Zielvorgaben zu machen und Mitarbeiter stark zahlen- und vergütungsfokussiert zu steuern: "Jeglicher finale Anstoß sollte von mir als Führungskraft kommen". Daher sei es eine große Herausforderung, eine neue Rolle anzunehmen und zu lernen, Mitarbeiter zur Selbstständigkeit zu motivieren. Digitalisierung müsse dabei aufgrund der Vorbildfunktion "als positive Chance für eine nachhaltige und abwechslungsreiche Arbeit" erkannt werden.

Eine weitere Vertriebsführungskraft fokussiert sich auf die Idee flexibler Vergütungsformen, um wieder leichter Vermittlernachwuchs gewinnen zu können. Dadurch werde die "Persönlichkeit des Vermittlers" zum "Schlüsselfaktor für die individuelle Einkommensgestaltung".

"Hinweise aus der Praxis für die Praxis", so beschreibt ein Autor den Charakter seines Beitrags zum "Führen einer kleinen Organisation". Dies ist auch das Motto des gesamten Ratgebers, der sich nicht als wissenschaftliche Abhandlung versteht, sondern Praktikern helfen will, sich als Führungskräfte zu bewähren.

Lesetipp

Klaus Bischof, Michael Gold (Hrsg.): Führung und Management in der Versicherungswirtschaft, 356 Seiten, ISBN 978-3-96329-259-0, 59,90 Euro, 2020 Verlag Versicherungswirtschaft

Cover Führung und Management in der Versicherungswirtschaft

Autor(en): Matthias Beenken

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