Zweifel am Geschäftsmodell Versicherung

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Versicherungsaufseher und Branchenvertreter warfen einen kritischen Blick auf die Mischung aus Niedrigzinsen, Regulierung und Marktanforderungen bei der Internationalen Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft in Wien.

Die "Wurzeln" der Versicherungsidee sind laut Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), "Kollektiv, Solidarität und Sicherheit". Der Bafin-Chef lobte vor hunderten Wissenschaftlern und Branchenvertretern in Wien die Erfolge, die die private Versicherungswirtschaft in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten bei der Durchdringung mit ergänzender Altersvorsorge erreicht hat.

Sieben von zehn Arbeitnehmern haben ergänzend vorgesorgt
So sei der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersvorsorge seit 2001 auf über 60 Prozent angestiegen, die Zahl der erfassten Arbeitnehmer um fünf Millionen auf 20 Millionen erhöht worden. Auch über 16 Millionen Riester-Verträge hob Hufeld als Beleg dafür hervor, dass die Branche die Anforderungen der Politik umgesetzt habe. Mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer hätten inzwischen entweder eine betriebliche oder eine staatlich geförderte private Altersvorsorge.

Ein Problem bleibt laut Hufeld die Versorgung von Geringverdienern. Mehr als die Hälfte verfüge über keine weitere Vorsorge. Kritisch setzte er sich mit den verschiedenen Vorschlägen auseinander, die unter den Begriffen Sozialpartnermodell vom Bundesarbeitsministerium sowie Deutschlandrente von drei hessischen Landesministern in die Diskussion gebracht wurden. Beide Modelle wollten erreichen, dass mehr Betroffene durch eine Zusatzvorsorge erreicht werden.

Niederlande und Großbritannien als Vorbilder
Für das Sozialpartnermodell hätten wohl die Niederlande Pate gestanden, in denen über 90 Prozent über tarifvertragliche Regeln in die Vorsorge einbezogen wurden. Die Deutschlandrente dagegen orientiere sich wohl eher am britischen Vorbild einer Opt out-Regelung, die allerdings weniger Spielraum für tarifvertragliche Gestaltung lasse.

Bafin will keine heimliche Produktaufsicht ausüben
Als Kernproblem identifizierte Hufeld die geringe Transparenz. "Normale" Menschen verstünden die vielen Konzepte nicht. Ob da allerdings die neuartigen Lebensversicherungskonzepte einen Fortschritt darstellen, zu denen Hufeld die Branche angesichts der Niedrigzins-bedingten Probleme der Klassik ermunterte, muss man bezweifeln.

Eine "heimliche Produktaufsicht" lehnte der Bafin-Präsident ab, kündigte aber an, dass er den Umgang der Versicherer mit den herausfordernden Marktbedingungen nicht nur in der Lebensversicherung im Interesse der Versicherten "mit allergrößtem Interesse verfolgen" werde.

Versicherungsaufsicht muss sich auf Veränderungen einstellen
Sein österreichischer Amtskollege Dr. Peter Braumüller äußerte ebenfalls deutliche Zweifel an der klassischen Lebensversicherung. Gleichzeitig aber kritisierte er moderne Konzepte und sprach ihnen eine erfolgreiche Zukunft ab, wenn sie nicht klare Mehrwerte beim Versicherungsschutz bieten.

Aus seiner Sicht muss sich auch die Versicherungsaufsicht selbst an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Unter anderem die zunehmende Vernetzung der Anbieter und ihrer Kunden, die Möglichkeiten zur Erhebung zahlloser versicherungsrelevanter Daten und Verhaltenshinweise sowie der Datenschutz gebieten eine aktivere Rolle der Versicherungsaufsicht.

Die Kunden verstehen die Produktkonzepte nicht
Braumüller appellierte an alle Beteiligten, das Wissen der Kunden zu verbessern. Wenn sie mehr über ihre Risiken wüssten, wäre auch der Vertrieb von Vorsorgelösungen einfacher. Dem widersprach allerdings Professor Dr. Yves Stevens von der Katholieke Universiteit Leuven in Belgien. Programme zur finanziellen Allgemeinbildung seien letztlich erfolglos. "People do not understand what`s going on", so sein ernüchterndes Fazit aus seiner früheren Tätigkeit unter anderem für die Europäische Aufsichtsbehörde Eiopa, durch die er einen tiefen Einblick in die Versorgungssysteme der EU-Mitgliedsländer erlangt hat.

Pauschale Kritik an den bestehenden Altersvorsorgelösungen ist auch keine Lösung. Diese Ansicht vertrat Dr. Axel Reimann, Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund. Er mache sich große Sorgen um die Altersvorsorge. Es gehe auch keineswegs darum, die verschiedenen Säulen gegeneinander auszuspielen. Wenn aber nur kritisch über Versicherungen berichtet würde, werde im Ergebnis keine Vorsorge mehr betrieben. Das könne keine Lösung sein.

Vertragsfreiheit als Verbraucherschutz
Den von Bafin-Chef Hufeld genannten Grundprinzipien der Versicherung setzte Daniel Bahr, ehemaliger Bundesgesundheitsminister und Generalbevollmächtigter bei der Allianz Private Krankenversicherung, für das deutsche Gesundheitssystem ein anderes Begriffspaar gegenüber. Eigenverantwortung und Solidarität bestimmten seiner Meinung nach die Kranken- und Pflegevorsorge.

Bahr berichtete von einem längeren Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten, wo es für ihn "eine zugegeben neue Erfahrung" gewesen sei, dass ausgerechnet er als bekennender Liberaler "in den USA als Sozialist beschimpft" wurde. Stein des Anstoßes war die deutsche Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, die er dort verteidigt habe. Dafür gebe es jedoch gute Gründe, denn junge Leute würden ihren Bedarf unterschätzen. Mit diesem Argument könnte man allerdings auch die Altersvorsorge von der Freiwilligkeit in eine Pflicht überführen.

Bahr brach Lanze für die PKV
Dagegen verteidigte Bahr die "individuelle Vertragsentscheidung" in der privaten Krankenversicherung (PKV) als "besten Verbraucherschutz". Weiter trat er Argumenten der Verfechter einer Einheitsversicherung entgegen. Das duale System in Deutschland sei gerade keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Nur zwei Prozent der Ärzte würden ausschließlich privat liquidieren, dagegen alle anderen Ärzte wesentliche Deckungsbeiträge für ihr vorwiegend auf Kassenpatienten ausgerichtetes Angebot durch Privatpatienten erwirtschaften. Umgekehrt werde eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gerade durch eine Einheitsversicherung entstehen, aus der dann die Betuchten des Landes entfliehen.

Anhand von praktischen Beispielen zeigte er, wie der Wettbewerbsdruck durch die PKV zu einer Erweiterung des Leistungsangebots der gesetzlichen Krankenversicherung geführt habe. Damit nehme die PKV eine Rolle "als Korrektiv" ein. Auch andere Kritikpunkte der PKV-Gegner entkräftete Bahr. Die immer wieder öffentlich diskutierten Wartezeiten für Facharzttermine seien in anderen Ländern viel höher als in Deutschland. Beispielsweise müssten in Kanada 41 Prozent der Betroffenen mehr als zwei Monate auf einen Facharzttermin warten, in Deutschland nur sieben Prozent.

Bildquelle: Cumulus

Autor(en): Matthias Beenken

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