EIOPA sagt unfairem Pricing den Kampf an

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Großbritannien war wieder einmal Vorreiter: Nun sollen auch die Aufsichtsbehörden der EU genauer hinsehen, mit welchen Praktiken Preise berechnet und welche Schadenversicherungs-Kunden dabei benachteiligt werden.

Schon vor vier Jahren veröffentlichte die britische Finanzaufsicht eine Studie, wonach Kunden von Kfz-, Gebäude- und Hausratversicherungen teilweise unfair behandelt werden. Hauptkritikpunkt war, dass treue Kundinnen und Kunden als dumme Kunden dastehen. Wer nicht ständig die Preise vergleicht, sondern zu anderen Anbietern wechselt oder zumindest mit dem eigenen Versicherer entsprechend verhandelt, der wird mit steigenden Prämien bestraft.

Aufsichten sollen aktiv werden – aber welche?

Das Thema hat sich nun auch die Europäische Aufsichtsbehörde EIOPA vorgenommen und ein „Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business” mit der Dokumentenbezeichnung EIOPA-BoS-23/076 veröffentlicht. Das gemäß der üblichen Vorgehensweise nur in Englisch verfügbare Paper adressiert die nationalen Aufsichtsbehörden der Mitgliedsländer.

In Deutschland müssten sich also die Bundesbehörde Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BaFin) und mindestens die 16 Ländergewerbeaufsichten der Industrie- und Handelskammern dieses Papier zu Gemüte führen und prüfen, welche Relevanz es für ihre Aufsichtspraxis hat. Zumindest im Fall der Landesbehörden ist es wohl eher fraglich, ob das so umgesetzt werden wird.

Versicherer und Vermittler betroffen

Denn betroffen sind zwar in erster Linie Versicherungsunternehmen, die die Preisgestaltung von Versicherungen in erster Linie verantworten. Darüber hinaus sind aber ausdrücklich auch solche Vermittlerinnen und Vermittler einbezogen, die eigenständig Versicherungsprodukte entwickeln – und zwar nicht nur für die Zielgruppe Privatkunden, sondern auch für das gewerbliche Geschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Davon dürfte es einige in Deutschland geben.

Zudem sind indirekt auch alle anderen Versicherungsvermittler betroffen. Denn sie müssen mindestens mit den Informationen aus dem Produktfreigabeverfahren versorgt werden, das ausdrücklich auch Informationen zur Preisfindung enthalten muss. Dies müssen sie verstanden haben und in der Lage sein, gemäß dem Grundsatz des Handelns im bestmöglichen Interesse des Kunden dieses nicht zum Nachteil ihrer Kunden anzuwenden.

Neben dem Produktfreigabeverfahren (Artikel 25 der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD) und dem allgemeinen Wohlverhaltensgebot (Artikel 17 IDD) wird schließlich noch die Pflicht aus Artikel 20 IDD herangezogen, dem Kunden eine objektive Information zum Versicherungsprodukt zu geben, damit der seine wohlinformierte Entscheidung treffen kann. Kurz gesagt, sind Versicherer und Vermittler hier gemeinsam gefordert, auch im Fall der Preisgestaltung Fairness walten zu lassen.

Preisdifferenz muss aktuarisch gerechtfertigt sein

Im Zentrum der Kritik der EIOPA stehen Praktiken, bei denen die Preise von Komposit-Versicherungen nach anderen Kriterien als versicherungsmathematisch begründbaren differenziert werden. So können insbesondere im Onlinevertrieb, teils mit Künstlicher Intelligenz unterlegt, unterschiedliche Preise für ein und dieselbe Deckung gezeigt werden. Kriterien können zum Beispiel die vermutete Kündigungswahrscheinlichkeit des Kunden, eine geringe Neigung zum Vergleich oder andere Hinweise auf eine erhöhte Zahlungsbereitschaft sein, die zu höheren Prämien führen und damit den Gewinn des Versicherers – und die Provision des Vermittlers – steigern.

Das Problem gibt es vor allem in den Ländern, in denen Auto-, Haftpflicht-, Hausrat-, Gebäude- und ähnliche Policen mit fester Laufzeit abgeschlossen werden und regelmäßig aktiv verlängert werden müssen. In Deutschland sieht das Versicherungsvertragsrecht eine automatische Verlängerung vor, sofern der Kunde nicht rechtzeitig kündigt.

Dadurch sind zum einen Kunden und Versicherer enger aneinander gebunden und Preiserhöhungen während der Laufzeit aus anderen Gründen als bedingungsgemäßen Beitragsanpassungen unüblich. Andererseits ist der Verhandlungsdruck niedriger, viele Kunden vertrauen auf eine dauerhaft faire Behandlung und beschäftigen sich nicht mit ihren Bestandsverträgen. Das kann dazu führen, dass Neuverträge an neue Kunden preiswerter und/oder leistungsstärker verkauft werden, als es im Bestand verbreitet ist.

Alter kann ein zulässiges Kriterium sein

Laut EIOPA haben sich auch schon mehrere Mitgliedsländer mit der Thematik befasst, darunter Deutschland. Dabei wird auf eine Untersuchung der BaFin von 2019 verwiesen, in der es um Altersdiskriminierung in der Kfz-Versicherung ging. Allerdings kam die BaFin damals zu dem Ergebnis, dass es keine unfaire Praktik ist, sondern dass das Alter aus aktuarieller Sicht ein zulässiges Kriterium für eine Preisdifferenzierung darstellt.

EIOPA will erreichen, dass die Prämienkalkulation einschließlich eventueller Differenzierungsmethoden Gegenstand des Produktfreigabeverfahrens ist. Auch komplexe Algorithmen und Technologien müssen zu erklärbaren Ergebnissen führen.

Transparenz über Preisdifferenzen

Als besonders problematisch werden „Price Walking“-Strategien bezeichnet, bei denen die Prämie wiederholt mit jeder Vertragsverlängerung gesteigert wird. Das dürfte aus den genannten Gründen eine in Deutschland unübliche Praxis sein.

Eine Rolle könnte das allenfalls bei Einsteigertarifen spielen, bei denen Kunden mit einem niedrigen Neukundentarif angelockt werden, dann aber „plötzlich, unerwartet, signifikant und wiederholend“ Preissteigerungen einsetzen. Vermutlich müssten auch solche Preissprünge vertraglich vereinbart werden, zudem werden Neuvertragsrabatte häufig wieder aktuariell begründbar sein – ein Beispiel ist der Nachlass für Neubauten in der Gebäudeversicherung, der planmäßig mit fortschreitendem Gebäudealter abgebaut wird. Vermutlich müssten die Versicherer und Vermittler nur sehr genau darauf achten, dass solche Sprünge transparent und verständlich mitgeteilt und erläutert werden, so dass von einer „Überraschung“ keine Rede sein kann.

Ein besonderes Augenmerk gilt – typisch für die europäische Finanzmarktregulierung – sogenannten vulnerablen Kundengruppen. Erwähnt werden vor allem ältere Kunden und Kunden mit geringem Einkommen sowie mit einem niedrigen Bildungsniveau.

Auch wenn die Relevanz der neuen Initiative der EIOPA für den deutschen Markt überschaubar zu sein scheint, sollte sich die Branche dennoch auf verstärkte Diskussion über den „Value for Money“, den Gegenwert der Prämie, auch bei Komposit-Versicherungen einstellen.

Autor(en): Matthias Beenken

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