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Alles-oder-Nichts-Prinzip

1. Begriff: Vollständige Gültigkeit oder vollständiger Verlust des Versicherungsanspruchs (Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens) bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen. Das alte Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ließ für den vollständigen Verlust des Versicherungsanspruchs weitgehend jegliches Verschulden des Versicherungsnehmers, also auch nur einfache Fahrlässigkeit, genügen. Ausnahmen: §§ 6 III, 62 II VVG a.F. bei Obliegenheitsverletzungen, § 61 VVG a.F. bei Herbeiführung des Versicherungsfalls. Ferner wurde in einzelnen Fällen sogar auf das Kausalitätsprinzip verzichtet: So galt die Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens ohne Rücksicht auf nachteilige Folgen einer Obliegenheitsverletzung zulasten des Versicherungsunternehmens (§ 6 I VVG a.F. bei „nur“ vertragsgefahrrelevanten Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall; § 6 III S. 1 VVG a.F. bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen nach dem Versicherungsfall; § 71 I S. 2 VVG a.F. bei Nichtanzeige der Veräußerung). Die Rechtsprechung hatte in diesen Fällen fehlender Kausalität unter Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben (mit der sog. Relevanzrechtsprechung) zusätzliche Schranken aufgerichtet. Bei der Herbeiführung des Versicherungsfalls blieb der Versicherungsschutz bei leichter Fahrlässigkeit zwar in vollem Umfang bestehen; im Fall grober Fahrlässigkeit trat jedoch übergangslos die volle Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens ein. Genau darin manifestierte sich das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“.

2. Reform: Das neue VVG hat diese starre Alternativität aufgelöst; die bisherigen Sanktionen wurden nicht mehr als sachgerecht angesehen. a) Kausalität: Als Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens wird nunmehr durchgehend Kausalität gefordert, d.h. das Verschulden des Versicherungsnehmers muss zur Herbeiführung des Versicherungsfalls grundsätzlich beigetragen haben (z.B. §§ 21 II S. 1, 26 III Nr. 1, 28 III S. 1, 82 IV S. 1 VVG). Die Beweislast für fehlende Kausalität trifft den Versicherungsnehmer – wie bisher (Kausalitätsgegenbeweis). Lediglich bei Arglist (die Beweislast liegt beim Versicherungsunternehmen) spielt Kausalität keine Rolle.
b) Verschulden und leichte Fahrlässigkeit: Bei leichter Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit Obliegenheitsverletzungen ist Leistungsfreiheit grundsätzlich nicht mehr vorgesehen; Ausnahme: § 58 I VVG für die laufende Versicherung. Dagegen kann das Versicherungsunternehmen bei leichter Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers kündigen (§§ 19 III S. 2, 24 I S. 2 VVG).
c) Verschulden und grobe Fahrlässigkeit: Grobe Fahrlässigkeit führt bei Obliegenheitsverletzungen und Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht mehr zur vollständigen Leistungsfreiheit. Dies ist als eine grundlegende Neuerung zu verzeichnen. Das Versicherungsunternehmen darf seine Leistungspflicht allerdings nur in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis kürzen (Quotenregelung). Die praktische Anwendung hat sich in der Zwischenzeit bewährt. Rechtsprechung und Schrifttum haben Maßstäbe zur Kürzung entwickelt – und werden damit fortfahren. Ausnahme: Bei grob fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht darf das Versicherungsunternehmen zurücktreten, eine Quotierung ist in § 21 II S. 1 VVG für den bereits eingetretenen Versicherungsfall nicht vorgesehen.

Autor(en): Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Professor Dr. Helmut Schirmer

 

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