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Fair Value

(beizulegender) Zeitwert.

1. Begriff:
Bilanzierung- und Bewertungsmethode in Rechnungslegung. Der Fair Value beschreibt als (hypothetischer) Marktpreis unter idealisierten Bedingungen annahmegemäß den aus Marktsicht zu bildenden (risikoadjustierten) Barwert der mathematischen Erwartungen über die zukünftigen Zahlungssalden aus einer Position.

2. Ziel: Durch die Verwendung von Fair Values sollen buchhalterische Größen durch ökonomische Werte ersetzt werden.

3. Konkretisierung des Fair Value nach Handelsrecht und IAS/IFRS: a) Handelsrechtlich wird der Begriff mit „beizulegender Zeitwert“ übersetzt, aber nicht weiter definiert.
b) Dagegen versucht die internationale Rechnungslegung, den Fair Value zu definieren. (1) IAS 39.9: Der Fair Value ist der Betrag, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein Vermögenswert getauscht oder eine Schuld beglichen werden könnte. (2) IFRS 13.9: Der Fair Value ist der Preis, der zum Bewertungszeitpunkt bei einer geregelten Transaktion zwischen Marktteilnehmern für einen Vermögensgegenstand zu erzielen oder für die Übernahme einer Schuld zu bezahlen wäre.

4. Einzelheiten zum Fair Value in der Rechnungslegung: a) Handelsrecht: Eine Zeitwertbewertung kann sich bei Kapitalanlagen im Rahmen der Folgebilanzierung aus dem Niederstwertprinzip ergeben. Darüber hinaus sind Versicherungsunternehmen nach §§ 54 ff. RechVersV zu umfassenden Zeitwertangaben über die Kapitalanlagen im Anhang verpflichtet.
b) IAS/IFRS: Finanzinstrumente, die den Bilanzierungs- und Bewertungskategorien At Fair Value through Profit or Loss und Available for Sale zugeordnet werden, sind nach IAS 39 zum Fair Value zu bilanzieren. Nach IFRS 9 wird es nur noch zwei Kategorien geben, nämlich die zum Fair Value und die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerteten Finanzinstrumente.

5. Ermittlungsmethoden: a) Mark-to-Market: Marktpreisgestützte Ermittlung des Fair Value, sei es über einen direkten Marktpreis (1. Priorität) oder über einen Marktpreis wirtschaftsähnlicher Vermögenswerte oder Schulden (2. Priorität).
b) Mark-to-Model: Ist ein Marktpreis nicht gegeben, kann der Fair Value mit Hilfe von anerkannten, wissenschaftlich fundierten Bewertungsverfahren als angenäherter Marktpreis (plausibler Schätzwert) bestimmt werden (3. Priorität).

6. Ausprägungen: Nach Maßgabe der Handlungsalternativen eines Bilanzierenden können drei Ausprägungen für den Fair Value identifiziert werden: Entry Value (Einstiegspreis) und Exit Value (Ausstiegspreis) als Varianten eines möglichen „Fair Value in Exchange“ (Tauschwert) sowie der „Fair Value in Use“ (Nutzungswert). Vom International Accounting Standards Board (IASB) ist ausschließlich ein Exit Value präferiert.

7. Bewertung von Versicherungsverpflichtungen nach dem Fair Value: Da Versicherungsverpflichtungen i.d.R. nicht auf aktiven Märkten gehandelt werden, ist ein Fair Value nur über Bewertungsmodelle zu bestimmen. Ziel der Bewertung ist die Simulation eines Preises, der sich auf einem funktionierenden Markt einstellen würde. Der Bewertung werden drei wesentliche Bausteine zugrunde gelegt: a) Ein neutral geschätzter Erwartungswert zukünftiger Zahlungsströme aufgrund von Rechten und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag,
b) der zur Berücksichtigung des Zeitwerts zu diskontieren und
c) zur Kompensation für übernommene inhärente Risiken und Dienstleistungen um eine Marge zu erhöhen ist. Der Exposure Draft ED/2013/7 des IASB folgt für Versicherungsverträge nicht mehr dem Gedanken des Fair Value im Sinne eines fiktiven Transaktionspreises. Demgegenüber liegt der Berechnung der Available Solvency Margin (siehe Anrechnungsfähige Eigenmittel) unter Solvency II der Fair Value als Bewertungsmaßstab auch für Versicherungsverträge zugrunde.

8. Probleme: Versicherer entledigen sich ihrer Verpflichtung üblicherweise durch Erfüllung und nicht über einen Transfer auf Dritte. Zudem gibt es Ermessenspielräume bei der fairen Bewertung eines Vermögensgegenstands oder einer Schuld. Problematisch ist auch Wahl der Bewertungsmethodik bei Vermögensgegenständen oder Schulden, die nicht auf frei zugänglichen Märkten gehandelt werden. Selbst Marktwerte können nicht immer als fair angesehen werden.

Autor(en): Dr. Frank Ellenbürger, Dr. Joachim Kölschbach

 

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