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Kopfpauschale

Kopfprämie, Gesundheitspauschale, Gesundheitsprämie.

I. Finanzierungsverfahren in der Sozialversicherung: 1. Begriff: Form der Erhebung von Prämien oder Beiträgen, bei der jeder Versicherte den gleichen Betrag bezahlt. Prinzipiell bei verschiedenen Versicherungen möglich, wird die Kopfpauschale v.a. im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), aber auch der sozialen Pflegeversicherung diskutiert. Nach dem Modell für die Kopfpauschale zahlt jeder Versicherte eine einkommens- und risikounabhängige einheitliche Prämie.

2. Hintergrunddiskussion: Im Zuge der wissenschaftlichen und politischen Debatte wurden zahlreiche Finanzierungsmodelle zur Einführung in Deutschland mit unterschiedlichen Vorschlägen insbesondere zu folgenden Fragestellungen vorgelegt: Sollen auch für Kinder Pauschalbeiträge gezahlt werden? Soll der heutige Arbeitgeberanteil abgeschafft werden; wenn ja: soll er steuerpflichtig ausgezahlt werden? Wie sieht eine Unterstützung Einkommensschwacher bei der Aufbringung der Pauschalbeiträge aus? Gewünscht wird mit der Kopfpauschale eine Abkoppelung der sozialversicherungspflichtigen Beiträge vom Lohn. Modell der sog. Rürup-Kommission aus dem Jahr 2002 zur Reform der GKV zwecks Sicherung ihrer nachhaltigen Finanzierbarkeit.

3. Ökonomische Legitimation: Hinter dem Schleier der Unwissenheit, der von J. Rawls eingeführt wurde, sind alle Menschen im Naturzustand gleich und wissen nicht, wie sie im Leben dastehen werden. Bei entsprechender Risikoaversion werden alle für einen gewissen Grad an sozialer Krankenversicherung stimmen, die durch eine Kopfpauschale finanziert wird, da die Kopfpauschale genau das Durchschnittsrisiko abdeckt, das den Erwartungswert hinter dem Schleier darstellt.

4. Methodik: Die Kopfpauschale sieht nicht nur einen risikounabhängigen, sondern – im Unterschied zur Bürgerversicherung – auch einen einkommensunabhängigen Beitrag zur Sozialversicherung vor. Alle versicherten Personen, auch bisher beitragsfrei versicherte Ehe- oder Lebenspartner ohne eigenes Einkommen, zahlen den gleichen Beitrag.

5. Bewertungen: a) Pauschalmodelle haben grundsätzlich den Vorteil, dass die Beiträge lohnunabhängig bemessen werden. Sofern der Pauschalbeitrag nur vom Versicherten getragen wird, ist der Krankenversicherungsbeitrag nicht mehr Bestandteil der Lohnnebenkosten. Allerdings ist zu bedenken, dass sich jede Lohnerhöhung auf das bisherige Bruttoeinkommen bezieht. Wenn dieses durch die Auszahlung des Arbeitgeberanteils einmalig steigt, würde sich jede Lohnerhöhung immer auf eine höhere Basis beziehen und damit die Lohnkosten – im Vergleich zum Status quo – erhöhen.
b) Pauschalbeiträge belasten Rentner stärker als einkommensabhängige Beiträge und bewirken insoweit eine größere Nachhaltigkeit der Finanzierung der GKV.
c) Bei einer Abschaffung des Arbeitgeberanteils würden die Arbeitgeber aus der (finanziellen) Verantwortung für das Gesundheitssystem entlassen; der arbeitgeberseitige Druck auf die Politik, die Beiträge stabil zu halten, entfiele. Im Gegenteil: Das Interesse der Arbeitgeber, Leistungen oder Finanzrisiken in die Sozialversicherung zu verschieben, würde auf ein gleichgerichtetes Interesse der öffentlichen Hand stoßen. Dazu kommt, dass die Arbeitgeberseite nur noch als Vertreter von Anbieterinteressen, z.B. Pharmaunternehmen, agieren würde, was tendenziell zu einem Kostenanstieg beitragen dürfte.
d) Die personelle Umverteilung wird bei den Kopfpauschalen-Modellen auf das Steuersystem übertragen. Das Umverteilungsvolumen ist – je nach Modell – erheblich und stellt die öffentlichen Haushalte vor große finanzielle Probleme. Es besteht die Gefahr, dass die Zuschüsse “nach Kassenlage” bemessen werden und damit gerade die einkommensschwächeren Versicherten, darunter die Rentner, schrittweise stärker belastet werden.
e) Daneben sind die unmittelbaren Verteilungswirkungen eines Kopfpauschalen-Modells problematisch. Eine einheitliche, einkommensunabhängige Prämie entlastet tendenziell höhere Einkommen und belastet niedrigere bzw. mittlere Einkommen. Ob dieser unmittelbare Effekt durch die geplanten Zuschüsse für Geringverdiener gemildert oder ausgeglichen werden kann, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab.
f) Auch mit der Kopfpauschale bleibt die langfristige Finanzierbarkeit der Sozialversicherung insoweit offen, als eine klare Regelung zur Kapitaldeckung mit dem Modell nicht verbunden ist.

6. Implementierung in Deutschland: Während des Bundestagswahlkampfs 2005 hatten die CDU und CSU in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Umstellung auf eine Kopfpauschale geworben. Die Krankenversicherung der Kinder sollte allerdings nach dem Modell der Rürup-Kommission über Steuern finanziert werden. Um einer finanziellen Überforderung zu begegnen, sollten sozial Schwache ebenfalls aus Steuermitteln Zuschüsse erhalten. Der Arbeitgeberanteil sollte mit dem Lohn ausgezahlt und versteuert werden. Mit diesen Steuermehreinnahmen wäre ein Teil der Transferzahlungen zu finanzieren gewesen. Die Kopfpauschale wurde dann aber seinerzeit wieder verworfen. Mit dem 2009 eingeführten Gesundheitsfonds müssen Krankenkassen, deren Ausgaben größer als die Zuweisungen aus dem Fonds sind, einen Zusatzbeitrag erheben.

7. Internationaler Vergleich: Die soziale Pflicht-Krankenversicherung in der Schweiz wird durch einen Pauschalbeitrag finanziert. In den Niederlanden und Belgien sind Mischmodelle aus einkommensabhängigen Beiträgen und Pauschalbeiträgen realisiert.

II. Vergütungsverfahren für Ärzte: 1. Begriff: Form der Zahlung der ärztlichen Vergütung seitens der gesetzlichen Krankenkassen an die kassenärztliche Vereinigung.

2. Methodik: Seit 1993 – nach Einführung einer strikten sektoralen Budgetierung – wird die ärztliche Vergütung (Gesamtvergütung) durch die Krankenkassen in Form eines festen Eurobetrags pro Mitglied und Quartal an die kassenärztlichen Vereinigungen gezahlt.

3. Umsetzung: Die Höhe der von der Krankenkasse zu zahlenden Gesamtvergütung ist das Produkt aus Kopfpauschale und Versichertenzahl. Bis 2009 wurde die Kopfpauschale maximal in Höhe der Grundlohnentwicklung angepasst, womit die Ärzte das Morbiditätsrisiko, z.B. aus einer Grippe-Epidemie, zu tragen hatten. Seit 2009 wird die Höhe der Kopfpauschale entsprechend der Morbiditätsentwicklung der Versicherten angepasst (dies wurde allerdings durch das GKV-FinG v. 22.12.2012 (BGBl. I S. 2309) für die Jahre 2011 und 2012 ausgesetzt).

Autor(en): Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Prof. Dr. Christian Hagist, Dr. Arne Leifels, Prof. Dr. Jürgen Wasem

 

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