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VVG-Reform

1. Begriff: Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) mit dem Ergebnis einer Neufassung, die zum 1.1.2018 in Kraft trat.

2. Entwicklungen: Das VVG stammt aus dem Jahr 1908 und war ursprünglich 1910 in Kraft getreten. Obwohl das Gesetz immer wieder an Veränderungen angepasst wurde, begann ab Ende der 1990er Jahre eine Diskussion um einen Reformbedarf des VVG. Hintergrund war u.a., dass sich die Rechtsprechung durch Auslegung und Rechtsfortbildung teilweise vom Gesetz entfernt hatte (z.B. durch die sog. Auge-und-Ohr-Entscheidung im Rahmen der Vertretungsmacht des Versicherungsvertreters oder durch die Relevanz-Rechtsprechung). Des Weiteren wurde etwa das dem früheren VVG zugrunde liegende Alles-oder-Nichts-Prinzip nicht mehr für angemessen erachtet. Insgesamt entsprach das Gesetz nicht mehr den Bedürfnissen des modernen Verbraucherschutzes, und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts führten zu Änderungsbedarf in der Lebensversicherung. Vor diesem Hintergrund setzte das Bundesministerium der Justiz im Jahr 2000 eine „Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts“ ein, die ihren Abschlussbericht im April 2004 vorlegte. Hieraus ging durch das „Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes“ vom 23.11.2007 (BGBl. I, S. 2631) das neue VVG hervor.

3. Wesentliche Änderungen (Auswahl): (1) Beratung und Information: Mit der VVG-Reform ist eine Verbesserung der Information und Beratung des Versicherungsnehmers verbunden. Ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen wurde eine Beratungs- und Dokumentationspflicht für Versicherer und Versicherungsvermittler. Informationspflichten waren schon vorher gesetzlich statutiert. Diese wurden indes zusammengefasst und durch die Informationspflichtenverordnung konkretisiert. Zudem müssen diese Informationen seit der VVG-Reform im Regelfall rechtzeitig vor der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers erteilt werden, so dass der Vertragsschluss insbesondere nach dem Antragsmodell oder dem Invitatiomodell zu erfolgen hat. Das früher als regelmäßiges Vertragsschlussverfahren in § 5a VVG a.F. geregelte Policenmodell ermöglichte hingegen, dass diese Informationen nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers erfolgen konnte. Mit der VVG-Reform ist das Policenmodell jedenfalls als regelmäßiges Vertragsschlussmodell abgeschafft und nur noch in besonderen Situationen (z.B. telefonischer Vertragsschluus oder Verzicht des Versicherungsnehmers) zulässig. (2) Allgemeines Widerrufsrecht: Während sich früher ein Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers auf Fernabsatzgeschäfte über Versicherungen beschränkte, so besteht seit der VVG-Reform ein 14-tägiges (bei Lebensversicherungen 30-tägiges) Widerrufsrecht nunmehr im Grundsatz für alle Versicherungsverträge, unabhängig vom Vertriebsweg und der Person des Versicherungsnehmers. Unter anderem bei Großrisiken besteht ein Widerrufsrecht hingegen nicht. (3) Vorvertragliche Anzeigeobliegenheit: Während nach früherer Rechtslage der Versicherungsnehmer dem Versicherer bei der Schließung des Vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, auch ungefragt offenbaren musste, muss der Versicherungsnehmer heute nur die ihm bekannten Gefahrumstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, anzeigen. (4) Abkehr vom Alles-oder-Nichts-Prinzip: Nach früherem Recht führte eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung oder Herbeiführung des Versicherungsfalls (grobe Fahrlässigkeit) durch den Versicherungsnehmer grundsätzlich zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers, während bei lediglich (einfach) fahrlässigem Handeln (einfache Fahrlässigkeit) vollständiger Versicherungsschutz bestand. Diese drastische Wirkung der Einordnung als grob fahrlässig oder bloß einfach fahrlässig wurde als unbefriedigend empfunden. Nunmehr besteht bei grob fahrlässigem Verhalten des Versicherungsnehmers grundsätzlich ein Quotelungsrecht des Versicherers (Quotierung). Zu beachten ist, dass in der Haftpflichtversicherung grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers vom Versicherungsschutz erfasst ist (vgl. § 103 VVG) und in der Transportversicherung das Alles-oder-Nichts-Prinzip unverändert gilt (§ 137 I VVG).

4. Neuregelung einzelner Vertragstypen: Mit der VVG-Reform wurden neue Regelungen insbesondere zur Berufsunfähigkeitsversicherung, zur vorläufigen Deckung und zur laufenden Versicherung in das Gesetz aufgenommen.

5. Neuregelungen der Lebensversicherung: In Umsetzung auch von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurde insbesondere die Bemessung der Überschussbeteiligung und die Berechnung des Rückkaufswerts neu geregelt.

6. Beschränkung der Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten: Die Erhebung personenbezogener Daten wurde an besondere Voraussetzungen geknüpft.

7. Klagefrist: Während nach früherem Recht der Versicherungsnehmer seinen Versicherungsanspruch innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend machen musste, kennt das heutige VVG eine solche besondere Klagefrist nicht mehr.

Autor(en): Prof. Dr. Roland Michael Beckmann, Professor Dr. Helmut Schirmer

 

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